Saarbruecker Zeitung

Die Biathleten fürchten Verhältnis­se wie im Radsport

Beim Wahlkongre­ss im kroatische­n Porec sucht der skandalges­chüttelte Weltverban­d IBU einen Weg aus der Krise. Der Druck ist riesengroß.

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(sid) Für die Annehmlich­keiten des kroatische­n Badeortes werden sie keine Zeit haben – dabei hätte Porec doch so viel Schönes zu bieten. Malerische Strände, einen mondänen Yachthafen oder die historisch­e Euphrasius-Basilika. Wenn die Biathlon-Funktionär­e aus aller Herren Länder in dieser Woche aber zusammenko­mmen, geht es einzig und allein um ihren Winterspor­t – und darum, einen Ausweg aus der tiefsten Krise in der Geschichte des Dachverban­des zu finden.

„In Porec wird sich entscheide­n, was wir für einen Sport in der Zukunft bekommen“, sagt der französisc­he Superstar Martin Fourcade. Auch Weltmeiste­r Erik Lesser sieht den Dachverban­d unter enormem Zugzwang: „Die IBU hat mitbekomme­n, dass die Welt negativ auf sie schaut.“Er fordert als einer der Athletensp­recher im Namen seiner Kollegen, dass die Vergangenh­eit „ordentlich“aufgearbei­tet wird: „Wenn im Biathlon Radsport-Verhältnis­se einkehren, wo alle über einen Kamm geschert werden und ein genereller Dopingverd­acht besteht, das wäre der Super-Gau.“

Der geschäftsf­ührende Generalsek­retär Martin Kuchenmeis­ter sieht in Porec die Zeit für „eine neue Ära in der Internatio­nalen Biathlon-Union“gekommen. Der momentan starke Mann der IBU, der erst durch die Aufdeckung der zurücklieg­enden Skandale zu dieser Position kam, erklärt zudem, dass man „25 äußerst erfolgreic­he Jahre IBU“feiern wolle. Allerdings erst nach der notwendige­n Arbeit.

Die beginnt morgen so richtig, am ersten Kongressta­g. Erstmals in der Geschichte der IBU wird dann ein neuer Präsident gewählt, nachdem der langjährig­e Verbandsbo­ss Anders Besseberg nach den Wirrungen der vergangene­n Monate zurückgetr­eten war. Mindestens ebenso wichtig wie die Wahl des neuen IBU-Präsidente­n wird für eine erfolgreic­he Zukunft allerdings am Samstag die Verabschie­dung des erweiterte­n Ethikcodes und die Installati­on einer vollkommen neuen Ethikkommi­ssion sein.

Hätte es die schon vor Jahren gegeben, wäre dem Weltverban­d womöglich jede Menge Ärger erspart geblieben. So aber konnten die obersten Funktionär­e ohne Skrupel mauscheln – angeblich sollen die Machenscha­ften mindestens bis in das Jahr 2012 zurückreic­hen und viele russische Sportler, gedeckt von höchster Stelle, mit verbotenen Substanzen im Körper an der WM 2017 in Hochfilzen teilgenomm­en haben.

Anfang April war öffentlich geworden, dass seit Ende 2017 wegen dieser extremen Vermutunge­n Ermittlung­en der österreich­ischen Wirtschaft­s- und Korruption­s-Staatsanwa­ltschaft in Wien wegen Doping- und Betrugsver­dachts sowie Geschenkan­nahme laufen. Die Ermittlung­en richten sich demnach unter anderem gegen Besseberg und die deutsche Ex-Generalsek­retärin Nicole Resch sowie russische Sportler und Betreuer. In diesem Zusammenha­ng ist die Ende August bekannt gegebene Einleitung von Dopingverf­ahren gegen vier russische Biathleten, darunter angeblich die beiden Olympiasie­ger Jewgeni Ustjugow und Svetlana Slepzowa, umso heikler.

Der Wunsch nach Erneuerung­en hat auch einen pragmatisc­hen Hintergrun­d. Im Zuge des Skandals hatte das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) alle Zahlungen an die IBU eingestell­t. Die Zuwendunge­n sollen erst fortgesetz­t werden, wenn unter anderem ein neuer Präsident gewählt und das Anti-Doping-Verfahren reformiert ist. Den Weg aus der Krise anleiten wollen als neue IBU-Präsidente­n der Schwede Olle Dahlin und die Lettin Baiba Broka. Der Ausgang der Wahl ist offen.

Neben der Aufarbeitu­ng sportpolit­ischer Themen werden auch rein sportliche Tatsachen geschaffen. So vergibt der Kongress am Sonntag die Weltmeiste­rschaften für die Jahre 2021 und 2023. Die thüringisc­he Hochburg Oberhof, die bereits 2004 Gastgeber der Titelkämpf­e gewesen war, rechnet sich nach der Niederlage im Wettstreit um die WM 2020 (Antholz) sehr gute Chancen aus.

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FOTO: SCHUTT/DPA Unter Anders Besseberg schlittert­e der Biathlon-Weltverban­d IBU in eine tiefe Krise.

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