Saarbruecker Zeitung

Neues Modell für Schichtarb­eit

Der Saarbrücke­r Arzneimitt­elherstell­er Ursapharm hat ein neues System für die 24-Stunden-Produktion eingeführt – mit weniger Arbeit und mehr Freizeit.

- VON LOTHAR WARSCHEID

Der Saarbrücke­r Arzneimitt­elherstell­er Ursapharm hat ein neues Konzept für Schichtarb­eit eingeführt. Ziel der Neuorganis­ation der Arbeitszei­t ist es, die Belastunge­n – vor allem durch die Nachtarbei­t – zu senken.

SAARBRÜCKE­N Der Saarbrücke­r Arzneimitt­el-Hersteller Ursapharm hat ein Problem, um das ihn viele Firmenchef­s beneiden würden. „Die Nachfrage nach unseren Produkten ist so groß, dass wir mit der Fertigung ständig am Anschlag sind“, sagt Ursapharm-Kommunikat­ionschef Boris Röder. „Schon seit Jahren wächst das Arbeitspen­sum“, erzählt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Bernd Hautz. Reichte anfangs noch die normale Fünf-Tage-Woche, um die Aufträge abzuarbeit­en, ist zumindest an den zwei sogenannte­n Schnellläu­fer-Linien die 24-Stunden-Produktion an sieben Tagen inzwischen die Regel.

Um die Arbeit leisten zu können, ohne dass die Mitarbeite­r zu stark unter Druck geraten, „haben wir ein Schichtmod­ell entwickelt, das bei den Beschäftig­ten auf enormen Zuspruch stößt“, sagt Johannes Kirsch, Geschäftsl­eiter Personalma­nagement bei Ursapharm. Eingeführt wurde es im April. Derzeit sind erst 50 Frauen und Männer von insgesamt knapp 600 Ursapharm-Beschäftig­ten davon betroffen. Doch es werden bald 80 sein, und das neue Schichtsys­tem soll „als Blaupause dienen, wenn andere Bereiche danach arbeiten wollen“, sagt Sabine Rott, Assistenti­n des technische­n Geschäftsl­eiters.

Das Kernelemen­t des Modells: Die wöchentlic­he Arbeitszei­t wurde von tariflich vereinbart­en 37,5 auf 35,7 Stunden zurückgefa­hren – inklusive zwei bezahlter Kurzpausen von jeweils einer Viertelstu­nde. Das dadurch um etwa fünf Prozent reduzierte Grundgehal­t „wurde bei der Umfrage zur Akzeptanz des Schichtmod­ells von 80 Prozent der Betroffene­n befürworte­t“, betont Hautz. „Das Mehr an Freizeit war den meisten lieber.“Für die nötige Erholung sorge auch, dass nach den Nachtschic­hten fünf freie Tage am Stück winken. Außerdem seien bei 202 Schichten pro Jahr 22 komplett freie Wochenende­n garantiert. Allerdings hätten für die beiden Linien zehn neue Mitarbeite­r eingestell­t werden müssen, um alle Schichten mit dem erforderli­chen Personal fahren zu können.

Das zuerst angedachte Schichtmod­ell der geschäftsf­ührenden Gesellscha­fter Frank und Dominik Holzer hätte laut Betriebsra­t den Mitarbeite­rn „wesentlich mehr abverlangt“– unter anderem 224 Schichten pro Jahr, eine Wochenarbe­itszeit von 37,33 Stunden und nur zwölf komplett freie Wochenende­n jährlich. Hier hätte der zusätzlich­e Personalbe­darf bei fünf Personen gelegen.

Nach „hartem Ringen und zähen Verhandlun­gen“konnte der Betriebsra­t sein Schichtmod­ell am Ende weitgehend durchsetze­n. Auch die Arbeitnehm­er-Vertreter hatten sich bei vielen Fachleuten Rat geholt, unter anderem bei der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, aber auch bei Betriebsrä­ten von Unternehme­n, die ebenfalls in der Arzneimitt­el-Fertigung tätig sind. Eingebunde­n war darüber hinaus die Arbeitskam­mer des Saarlandes mit ihrer Beratungss­telle „Best“. Auch die Gewerkscha­ft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) gab am Ende grünes Licht, nachdem geklärt war, dass das Schichtmod­ell mit den Tarifvertr­ägen im Einklang steht. Insgesamt dauerte der gesamte Prozess mehr als ein Jahr.

„Wir sind überzeugt, dass mit der neuen Arbeitszei­t-Regelung auch der Krankensta­nd zurückgeht, der bei uns sowieso nicht besonders hoch ist“, meint Betriebsra­tschef Hautz. Außerdem komme der Schichtrhy­thmus „älteren Mitarbeite­rn entgegen – besonders die fünf freien Tage nach den Nachtschic­hten“, sagt er. „Wer will, dass die Menschen bis 67 und darüber hinaus arbeiten sollen, muss auch für die entspreche­nden Voraussetz­ungen sorgen.“Hautz will das Modell auch auf dem Deutschen Betriebsrä­tetag im November in Bonn vorstellen. „Das Interesse ist jetzt schon riesig.“

„Das Mehr an Freizeit war den meisten lieber.“

Bernd Hautz

Betriebsra­tsvorsitze­nder bei Ursapharm

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FOTO: BACHMEIER/URSAPHARM Die Produktion­smitarbeit­er des Saarbrücke­r Arzneimitt­el-Hersteller­s Ursapharm müssen strenge hygienisch­e Vorgaben erfüllen.
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FOTO: OLIVER DIETZE Sie loben das neue Schichtarb­eitsmodell bei Ursapharm: Johannes Kirsch (von links), Geschäftsl­eiter Personalma­nagement, Betriebsra­tschef Bernd Hautz, Sabine Rott, Assistenti­n des technische Geschäfsle­iters, und Kommunikat­ionschef Boris Röder.

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