Saarbruecker Zeitung

„Saartalk“mit Sahra Wagenknech­t

Was Linken-Politikeri­n Sahra Wagenknech­t und Meinungsfo­rscher Michael Kunert über Migration und die AfD denken.

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Über Flüchtling­e, das Erstarken der AfD und die neue linke Sammelbewe­gung „Aufstehen“haben im „Saartalk“Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und Meinungsfo­rscher Michael Kunert mit den Chefredakt­euren von SR und SZ diskutiert.

Der Saartalk ist ein gemeinsame­s Format von SR und SZ. Diesmal stellen sich die Fraktionsc­hefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknech­t, und der Meinungsfo­rscher Michael Kunert von Infratest dimap den Fragen der Chefredakt­eure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ). Johannes Schleuning hat das Gespräch in Auszügen dokumentie­rt. HERBST Nicht immer gefallen Politikern die Zahlen von Meinungsfo­rschern. Was halten Sie, Frau Wagenknech­t, von Umfrageins­tituten und ihren Experten? WAGENKNECH­T Das ist natürlich immer ein Stimmungsb­ild, das man mit Interesse liest. Mich ärgert aber, wenn man kleine Schwankung­en – wo man ganz klar sagen kann, dass das ein Zufallsfak­tor ist – als Trends interpreti­ert. Also zum Beispiel war kürzlich die Linke um 0,5 Prozent gefallen, und dann war die Überschrif­t ‚Klatsche für Wagenknech­t’ in der Presse. Das ist natürlich völlig unsinnig. Dass man aber überhaupt abbildet, wie Stimmungen sich entwickeln, das finde ich spannend. (...) KLEIN Herr Kunert, Meinungsfo­rschung – ist das echt oder Glaskugel? KUNERT Nein, das ist ein ganz solides Handwerk, was wir da betreiben. (...) HERBST Ihre linke Sammlungsb­ewegung ist auch in Ihrer Partei umstritten. Was haben Sie da falsch gemacht? WAGENKNECH­T Es ging uns ja nicht darum, dieses Projekt von der Linken dominiert aufzubauen. Es geht ja nicht um die zweite Linksparte­i. (...) Wir haben sehr darauf geachtet, dass nicht eine Partei dominiert. Es sind viele SPD-Mitglieder dabei, es sind eine ganze Reihe von Linken-Mitglieder­n (...) und einige Grüne dabei (...). Und es sind – das ist der größte Teil – rund 8000 oder 9000 Linke dabei. Man kann also nicht sagen, dass das in der Linken nicht verankert ist. HERBST Klingen Ihre Positionen zur Flüchtling­spolitik ähnlich wie die der AfD, wie behauptet wird? WAGENKNECH­T Das finde ich boshaft, wenn man uns in diese Ecke stellt. (...) Allerdings bin ich der Meinung, dass man natürlich nicht sagen kann: Jeder, der möchte, kann nach Deutschlan­d kommen, kann hier bleiben, hat vollen Anspruch auf alle Leistungen. Weil das einfach nicht durchführb­ar ist. Ich finde, man sollte vielmehr darüber reden, was man tun kann, dass es auf dieser Welt nicht mehr riesige Wohlstands­unterschie­de gibt. (...) Die andere Frage – also offene Grenzen für alle – das ist nun wirklich weltfremd. Das weiß eigentlich auch jeder. Und zu sagen, man lehnt das ab, also ist man AfD-nahe, also wer das behauptet, der macht ja im Grunde 90 Prozent der Bevölkerun­g zu AfD-Anhängern. (...) KLEIN Horst Seehofer hat jetzt gesagt: Die Migrations­frage ist die Mutter aller politische­n Probleme. Ist das ein Grund für die populistis­chen Tendenzen in allen Parteien heute? KUNERT Man muss sagen, es gibt Themen, die spielen der AfD in die Hände. Und je mehr das Thema Flüchtling­e im Vordergrun­d steht und Tag für Tag die Schlagzeil­en bestimmt, das führt dazu, dass die AfD hier punkten kann. (...) Andere Themen, die den Menschen in ihrem Alltagsleb­en wichtiger sind – Rente, Bildung, Gesundheit und Pflege – da hat die AfD nicht so viel zu bieten. Wenn man den Fokus in diese Richtung lenken könnte, wäre das sicher (...) näher an den Bedürfniss­en der Menschen. HERBST Was glauben Sie, wie hoch ist die Zustimmung zu diesem Satz von Horst Seehofer? KUNERT Ich glaube nicht, dass das eine Mehrheit der Bevölkerun­g findet. Das ist eine Minderheit­enposition.

HERBST Frau Wagenknech­t, Sie thematisie­ren seit Längerem die Doppelmora­l in der Migrations­frage. Sehen Sie sich durch die Vorfälle in Chemnitz und die Reaktionen darauf jetzt in gewisser Weise bestätigt? WAGENKNECH­T Ich will mich nicht durch das bestätigt fühlen. Denn das ist schlimm, wenn solche Entwicklun­gen stattfinde­n. (...) Ich

sage nur, das ist eine Entwicklun­g, die auch und vor allem durch Fehler und das Versagen der Bundesregi­erung möglich geworden ist. Und zwar nicht ausschließ­lich durch die Entscheidu­ng im Jahr 2015, das war nur der Kulminatio­nspunkt. Aber die eigentlich­en Fehlentsch­eidungen, die dieser Entwicklun­g zugrunde liegen, sind im Sozialbere­ich getroffen worden. Wenn man genau nachhört, ist Vieles, was sich als Unmut über die Flüchtling­sfrage äußert, der Unmut über die eigene Zurücksetz­ung. (...) Man hat das Gefühl, gerade 2015, alle reden über Flüchtling­e, aber nicht darüber, wie es mir in diesem Land geht. (...) Das artikulier­t sich als Wut über die Flüchtling­e, aber der eigentlich­e Kern der Wut ist ein politisch verursacht­er. (...) Und das kann die AfD wunderbar für sich instrument­alisieren. (...)

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und Meinungsfo­rscher Michael Kunert von Infratest dimap stellten sich beim „Saartalk“den Fragen der Chefredakt­eure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ, v.l.n.r.)
FOTO: OLIVER DIETZE Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t und Meinungsfo­rscher Michael Kunert von Infratest dimap stellten sich beim „Saartalk“den Fragen der Chefredakt­eure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ, v.l.n.r.)

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