Saarbruecker Zeitung

Kanzlerin Merkel für neue Regeln bei Organspend­e

Sie ist wieder da: Die Auseinande­rsetzung zwischen CDU und CSU über die Migrations­politik Merkels. CSU-Chef Seehofer provoziert mit plakativen Formulieru­ngen.

- VON JÖRG BLANK UND ANNE-BEATRICE CLASMANN

BERLIN (afp) Kanzlerin Angela Merkel unterstütz­t den Vorschlag einer Widerspruc­hslösung bei der Organspend­e. Das Thema solle ohne Fraktionsz­wang im Bundestag beraten werden, sagte Merkel. Die von ihr befürworte­te doppelte Widerspruc­hslösung sieht vor, dass einem hirntoten Menschen Organe entnommen werden können, wenn er oder seine Hinterblie­benen sich nicht ausdrückli­ch dagegen gewandt haben.

(dpa) Gut fünf Wochen sind es noch bis zum Schicksals­tag für die CSU, der Landtagswa­hl in Bayern am 14. Oktober. Pünktlich zum Start in den politische­n Herbst ist nun das zentrale Streitthem­a zwischen Kanzlerin Angela Merkel und der CSU von Horst Seehofer wieder zurück auf der Berliner Bühne – und zwar mit Wucht. Es geht im Kern um eine zentrale Frage der Unionspoli­tik: Wie bekämpfen CDU und CSU am wirkungsvo­llsten die AfD? Bundesweit ist die AfD in Umfragen scharf an die SPD herangerüc­kt. In Bayern stößt sie mit Werten um die 14 Prozent in bislang nicht dagewesene Höhen.

Seehofer und die CSU sind der Meinung, dass man den Rechtspopu­listen von der AfD nur das Wasser abgraben kann, wenn man immer wieder die Sorgen der Menschen thematisie­rt, die sie mit dem Thema Migration und Flucht verbinden. Vorgänge wie jetzt in Chemnitz mit fremdenfei­ndlichen Demonstrat­ionen nach der tödlichen Messeratta­cke auf einen 35-jährigen Deutschen mit kubanische­n Wurzeln beherrsche­n die Schlagzeil­en. Mit Sachthemen dringt die Union bei ihren Herbstklau­suren kaum durch.

Merkels Innenminis­ter Seehofer ist sich sicher. Der Aufstieg der AfD, das Schwächeln seiner CSU – das hat nur einen Grund: die Migrations­politik der Bundesregi­erung, die er seit drei Jahren massiv kritisiert. Die Migrations­frage sei „die Mutter aller Probleme“, sagt er den CSU-Bundestags­abgeordnet­en bei ihrer Klausur in Brandenbur­g, wie es mehrere Teilnehmer hinterher berichten. Auch in einem Interview verwendet er diesen Satz. Vor den Kameras sagt der CSU-Vorsitzend­e außerdem, die zweistelli­gen Umfragewer­te für die AfD in Bayern seien eine Neuerschei­nung, „wo ja die Grundlage oder die Ursache dafür in der Migrations­politik liegt“.

Dass Seehofer die Hauptveran­twortung für die aus seiner Sicht mangelnde Steuerung des Flüchtling­szustroms bei Merkel sieht, ist kein Geheimnis. Die Kanzlerin quasi als „Mutti aller Probleme“. Öffentlich­e Kommentare in diese Richtung verkneift er sich aber. Und das Lieblingsw­ort von CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt während der zweitägige­n Klausur lautet „Stabilität“. Doch inhaltlich stellt sich Dobrindt hinter Seehofer. Die politische

Angela Merkel Landschaft habe sich durch die Migrations­thematik verändert, dies sei „unstrittig“. Zwar habe man sich innerhalb der Koalition inzwischen auf viele Punkte verständig­t. In der Migrations­politik werde es bei Details jedoch auch in den nächsten Wochen und Monaten noch Diskussion­sbedarf geben, zum Beispiel über den hauptsächl­ich von der SPD geforderte­n „Spurwechse­l“abgelehnte­r Asylbewerb­er in die Arbeitsmig­ration.

Merkel dürfte es nach den Vorkommnis­sen von Chemnitz kaum überrascht haben, dass das teils angstbeset­zte Thema Migration ausgerechn­et jetzt von der CSU wieder thematisie­rt wird. Die Kanzlerin setzt seit Jahren ihr Rezept dagegen, dass eine Regierung vor allem zum Problemlös­en gewählt sei. Kritiker in der CSU, aber auch in den eigenen Reihen halten ihr vor, dass sie damit die Ängste in der Bevölkerun­g nicht mindere.

Ungewöhnli­ch deutlich widerspric­ht Merkel gestern dann dem Seehofer-Wort von der Migration als „Mutter aller politische­n Probleme“. Im RTL-Sommerinte­rview antwortet sie ruhig auf die Frage, ob sie die Äußerung ihres Innenminis­ters unterschre­iben könne: „Ich sag’ das anders.“Die Migrations­frage stelle Deutschlan­d vor Herausford­erungen, „und dabei gibt es auch Probleme“. Aber es gebe eben auch Erfolge. Es sei schon viel geleistet worden bei der Ordnung der Migration.

Dann fügt Merkel wieder ihr Credo an: „Ich finde, wir sollten den Weg weitergehe­n, den wir eingeschla­gen haben.“Als Regierungs­chefin müsse sie Ruhe vermitteln und auch im Ton besonders sachlich sein. Immer wieder mahnt sie deswegen auch öffentlich vor einer verbalen Eskalation der politische­n Auseinande­rsetzung.

Merkel verwendet auch ein Motiv, dass sie im Zusammenha­ng mit den Demonstrat­ionen von Chemnitz schon häufiger benutzt hat. Es sei „eine angespannt­e Stimmung, in der auch jeder, glaube ich, und jede Position beziehen sollte“. Sie alleine oder ihre Regierung werde die Stimmung in Deutschlan­d kaum verändern können. Später sagt sie noch, die Botschaft von Chemnitz solle sein, „dass allen Kräften der Rücken gestärkt wird, die sich gegen Rassismus und gegen Hass wenden“.

Dass sie damit Seehofer, Dobrindt oder den schwer unter Druck stehenden bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) von ihrem Kurs überzeugt, wird auch die Kanzlerin nicht glauben.

Doch in der CDU setzen Stimmen, die Merkel nahestehen, darauf, dass auch die CSU kein Interesse daran haben könne, dass der Streit der Schwesterp­arteien erneut aufbricht. Zu bitter sind die Erinnerung­en an den Frühsommer, zu kurz die Zeit bis zur entscheide­nden Landtagswa­hl. Also dann doch lieber nach außen hin Frieden? Vermutlich ja. Alles andere wäre höchstwahr­scheinlich die „Mutter allen Misserfolg­s“.

„Ich finde, wir sollten den Weg weitergehe­n, den wir eingeschla­gen

haben.“

Im RTL-Sommerinte­rview

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FOTO:NIETFELD/DPA Erneuter Seitenhieb gegen die Kanzlerin: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) findet nach den Ausschreit­ungen in Chemnitz scharfe Worte zu den Ursachen von Migration.

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