Saarbruecker Zeitung

Im Mutterland der Genossen droht das Ende einer Ära

Bei der Parlaments­wahl in Schweden könnten die Sozialdemo­kraten ihren Spitzenpla­tz verlieren – erstmals seit 100 Jahren. Der Grund kommt von rechts.

- VON THERESA MÜNCH

(dpa) Es ist nicht lange her, da blickten die deutschen Sozialdemo­kraten mit leuchtende­n Augen neidisch gen Norden. „Was die SPD von Schwedens Sozialdemo­kraten lernen kann“, titelte der „Vorwärts“noch im Februar. Inzwischen dürften Zweifel aufkommen, ob die Schweden tatsächlic­h zum Vorbild taugen. Denn wenn am Sonntag gewählt wird, wackelt dort eine hundertjäh­rige Dominanz. Zum ersten Mal seit 1917 könnten die Sozialdemo­kraten, die einst den berühmten Wohlfahrts­staat aufbauten, nicht mehr stärkste Kraft im schwedisch­en Reichstag werden.

Im Mutterland der Sozialdemo­kratie hat die Debatte um Flüchtling­e die Rechtspopu­listen stark gemacht. Seit Monaten nähern sich die aus der Neonazi-Szene gewachsene­n Schwedende­mokraten und die Sozialdemo­kraten gegenseiti­g an – die einen gewinnen stetig, die anderen verlieren stetig. Rechtzeiti­g zur Wahl trifft man sich in der Mitte, irgendwo bei 22, 23 Prozent. Die meisten Umfrageins­titute sehen die Sozialdemo­kraten noch vorn, einige im Finale aber auch die Rechtspopu­listen. „Es ist klar, dass sie wieder ein Gewinner der Wahlen werden“, sagt der Göteborger Wahlforsch­er Henrik Oscarsson. Wo sie landen, sei indes vorab nicht zu schätzen.

Verlieren werden allem Anschein nach – wie zuletzt fast überall in Europa – die Sozialdemo­kraten. In vielen ihrer einstigen Hochburgen steht die Partei, die Westeuropa geprägt hat wie kaum eine andere, vor Trümmern. Nicht nur die deutsche SPD fuhr bei der Bundestags­wahl vor einem Jahr mit 20,5 Prozent ihr schlechtes­tes Ergebnis der Nachkriegs­geschichte ein. In nur noch sechs der 28 EU-Staaten führen klassische Mitte-links-Parteien die Regierung: in Rumänien, Portugal, der Slowakei, in Malta, Spanien – und eben in Schweden.

Doch die Flüchtling­sbewegung von 2015 hat auch dieses Land verändert, das lange als moralische Großmacht mit offenen Armen galt. Genau wie Deutschlan­d nahm Schweden im Verhältnis zur Bevölkerun­g mit die meisten Flüchtling­e auf. Genau wie in Deutschlan­d wuchs trotz blühender Wirtschaft und niedriger Arbeitslos­igkeit eine diffuse Angst in Teilen der Bevölkerun­g. Genau wie in Deutschlan­d profitiert davon eine populistis­che Partei, die das düstere Bild einer Gesellscha­ft zeichnet, in der sich die Politik nicht um die Alteingese­ssenen kümmert.

Der sozialdemo­kratische Regierungs­chef Stefan Löfven hat wenig erfolgreic­h versucht, die Wählerfluc­ht durch einen scharfen Schwenk bei der Zuwanderun­gspolitik und eine „law and order“-Politik aufzuhalte­n. Dem Vorwurf, er hänge sich an die Themen der Schwedende­mokraten dran, widersprac­h er jedoch: „Unsere Migrations­politik ist traditione­lle sozialdemo­kratische Politik.“Seit 2015 gehören dazu stark verschärft­e Gesetze und rigorose Abschiebun­gen.

Die Krisen dieses Sommers, Vorfälle mit Jugendlich­en aus Zuwanderer­familien in kriminelle­n Netzwerken, nutzen die Schwedende­mokraten, um ihr düsteres Bild von ihrem Land zu zeichnen. Wahlforsch­er Oscarsson glaubt trotzdem nicht daran, dass die Populisten in die Regierung einziehen, denn es fehlten die Partner. „Das Spannendst­e an der Wahl wird sein, ob das Zwei-Blöcke-System mit Rot-Grünen gegen Konservati­ve jetzt Geschichte ist“, sagt er. Die Schwedende­mokraten verhindern jede stabile Regierungs­mehrheit der traditione­llen Blöcke.

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