Zwei Wettbewerber, die sich brauchen
Emmanuel Macron empfängt heute Angela Merkel in Marseille. Es geht auch um die Europawahl und den Umgang mit Viktor Orban.
PARIS Anderthalb Stunden Gespräch im Palais du Pharo, gefolgt von einem Arbeitsessen: So sieht der Ablauf des Treffens von Angela Merkel mit Emmanuel Macron am heutigen Freitag in Marseille aus. Genug Zeit also, die heißen Themen zu erörtern. Dazu gehören nicht nur Brexit und Flüchtlingspolitik, sondern auch die Europawahlen im nächsten Jahr. Das Ereignis am 26. Mai droht, die immer wieder gezeigte Harmonie zwischen Merkel und Macron zu zerstören. „Sie sind Wettbewerber“, sagt Eileen Keller vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Die Kanzlerin auf der Seite der konservativen Europäischen Volkspartei EVP, für die der CSU-Politiker Manfred Weber als Spitzenkandidat ins Rennen gehen will, und der französische Staatschef als Bannerträger all jener Kräfte, die sich den Populisten entgegenstellen. Und zwar jenen Populisten, deren Aushängeschild der ungarische Regierungschef Viktor Orban ist.
Der Präsident selbst stilisiert die Wahl schon jetzt zum Kampf des Guten gegen das Böse – Macron gegen Orban. Allerdings ist der Vorsitzende der ungarischen Fidesz-Partei Teil der EVP, der eben auch die Kanzlerin mit ihrer CDU angehört. Macrons Kalkül ist klar: Er will die EVP sprengen, so wie er im vergangenen Jahr bei der Präsidentschaftswahl französische Konservative und Sozialisten gespalten hat. Die „progressiven Kräfte“in der EVP sollen sich ihm anschließen, um dann die Populisten um Orban zu bekämpfen.
Doch das Schwarz-Weiß-Denken des Präsidenten wird in Merkels CDU kritisch gesehen. „Wenn Herr Macron der Anführer eines Lagers sein will, kann er nicht der Anführer Europas sein“, zitiert „Le Monde“den Vorsitzenden des Auswärtigen Bundestags-Ausschusses, Norbert Röttgen. Für Macron ist offene Opposition gegen eine Kandidatur für die EU-Spitze, die die Kanzlerin unterstützt, gefährlich. Er würde indirekt die Frau bekämpfen, die doch in Europa seine engste Verbündete sein soll. Sie braucht er für die angestrebte Reform der Eurozone. Nach Merkels lauwarmem Ja zu einem Investitionshaushalt tut der Präsident sich schwer, bei anderen Partnern Zustimmung zu finden. Dabei tourt der 40-Jährige seit Wochen durch den Kontinent. Doch das Echo seiner Gesprächspartner ist verhalten. So bemerkte der dänische Regierungschef Lars Lokke Rasmussen vor Macrons Besuch: „Es ist nicht die Zeit für grundlegende Reformen.“
Wie es mit Macrons Plänen weitergeht, muss sich beim EU-Gipfel im Dezember zeigen. Der Präsident braucht einen Erfolg, um im Europawahlkampf zu punkten. Zwar hat er auf europäischer Ebene seit seinem Wahlsieg vor 15 Monaten vieles angestoßen, doch passiert ist wenig. Auch, weil die anderen EU-Partner dem deutsch-französischen Paar nicht mehr blind folgen. Immerhin kommen Deutschland und Frankreich bei der Verteidigungspolitik voran, ebenfalls ein Steckenpferd Macrons. Deutschland und Frankreich entwickeln gemeinsame Rüstungsprojekte und sind sich prinzipiell über eine europäische Interventionsarmee einig. Wie Großbritannien da eingebunden werden soll, muss aber noch geklärt werden. Überhaupt Großbritannien: Auch der Brexit ist ein Thema, bei dem Deutschland und Frankreich sich annähern. Nachdem die Franzosen zuerst unnachgiebig waren, scheinen sie jetzt auf eine pragmatische Lösung umzuschwenken.
Wenn es allerdings um die Nachfolgestädte für den Finanzplatz London geht, sind beide Länder Konkurrenten. Beim Geld hört ja bekanntlich die Freundschaft auf.