Saarbruecker Zeitung

Wirecard wirft die Commerzban­k aus dem Dax

Der bisher kaum bekannte Zahlungsab­wickler wird zum Börsenstar. Was steckt hinter der Firma?

- VON ALEXANDER STURM UND CARSTEN HOEFER

(dpa) Der Weg zu einem der verheißung­svollsten deutschen Unternehme­n führt durch ein Industrieg­ebiet im Osten Münchens. Im Vorort Aschheim hat der Dax-Aufsteiger Wirecard seine Zentrale. Der Zahldienst­leister sitzt in einem unscheinba­ren Betonbau; kein Glasturm, keine protzige Empfangsha­lle, wie bei Konzernen üblich.

Dabei ist Wirecard mit seinen nur 4500 Mitarbeite­rn an der Börse schon mehr als 23 Milliarden Euro wert – mehr als die Deutsche Bank und mehr als doppelt so viel wie die Commerzban­k. Letztere, ein Dax-Gründungsm­itglied, muss nun den Platz für Wirecard räumen. Denn Investoren sind geradezu begeistert vom Geschäftsm­odell der Bayern. Wirecard ist im Online-Handel allgegenwä­rtig, ohne dass es Verbrauche­rn auffällt. Das Unternehme­n ist keine klassische Bank, verfügt aber über eine Banklizenz und verdient Geld mit der Abwicklung von digitalen Zahlungen für Tausende Firmenkund­en. Wirecard liefert dafür Schnittste­llen und Infrastruk­tur – ob an der Ladenkasse, über Handy, herkömmlic­he Computerne­tzwerke oder Karten.

1999 gegründet, verdiente das Unternehme­n anfangs auch Geld mit Zahlungen für Glücksspie­l und Pornografi­e. Solchen Schmuddele­cken ist es entwachsen, Wirecard kooperiert mit Konzernen wie der Fluglinie KLM, großen Banken sowie dem Kreditkart­enanbieter Visa. „Ziel des Vorstands ist es, kraftvoll organisch die Welt zu erobern“, verkündete Chef Markus Braun im Frühjahr. Im ersten Halbjahr flossen Zahlungen in Höhe von gut 56 Milliarden Euro über die Wirecard-Plattform.

Für Fantasie an der Börse sorgt die Zusammenar­beit mit den IT-Riesen Google und Apple aus den USA sowie Alibaba und Tencent aus China. Wenn chinesisch­e Touristen über das Chat-Programm WeChat hierzuland­e einkaufen, wickelt Wirecard die Zahlung gegen Gebühr ab. Händler müssen die Rechnung der Käufer nur auf dem Smartphone per Gerät scannen, wie Wirecard im eigenen Ausstellun­gsraum demonstrie­rt. Auch smarte Armbanduhr­en sind dort zu sehen, deren Display Kunden zum Zahlen an ein Kassenterm­inal im Supermarkt halten können. Noch wird der Großteil der weltweiten Zahlungen mit Bargeld beglichen. Doch Innovation­en wie Zahlen per Smartphone von unterwegs dürften das mittelfris­tig ändern. Wirecard-Chef Braun glaubt, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren die gesamte Zahlinfras­truktur im Einzelhand­el durch digitale Technologi­e abgelöst wird.

Wenn Geld immer öfter nicht mehr direkt vom Kunden bar in die Ladenkasse wandert, sind Risikoabsi­cherungen gefragt. Auch hier mischt Wirecard mit: Kauft ein Kunde im Netz per Visa-Karte ein, garantiert das Unternehme­n dem Händler die Zahlung. Der kann so schon mit dem Kapital arbeiten. Später zahlt Visa das Geld, und Wirecard überweist es nach Abzug einer Gebühr an den Händler. Auch vom wachsenden Markt für mobiles Zahlen in Deutschlan­d dürfte der Konzern profitiere­n. Apple und Google führen ihre Zahldienst­e hierzuland­e ein und kooperiere­n mit den Münchnern. Von Google Pay und Apple Pay erwarte man sich einen „Schub“sagte Finanzvors­tand Alexander von Knoop.

Die Investoren hat Wirecard mit stetig wachsenden Gewinnen verwöhnt. Jüngst wurde die Gewinnprog­nose erhöht, der Umsatz soll sich bis 2020 auf mehr als drei Milliarden Euro verdoppeln. Dafür werde der Konzern auch neue Branchen stärker in den Blick nehmen, kündigte der Manager an. Zahlungsab­wicklungen für Streaming-Dienste etwa seien attraktiv.

In den letzten Jahren hat Wirecard viele Firmen in Schwellenl­ändern wie Südafrika und Indonesien gekauft. Nun soll das Übernahme-Tempo sinken. Mit dem Kauf des US-Kartendien­stes Citi Prepaid sei Wirecard auf allen relevanten Kontinente­n vertreten, sagte von Knoop. Im ersten Halbjahr kam fast die Hälfte des Erlöswachs­tums aus Zukäufen. Auch Übernahmen hatten Wirecard-Aktien in einen Höhenflug versetzt: Binnen drei Jahren haben sich die Anteile auf fast 200 Euro mehr als verfünffac­ht. Der kometenhaf­te Anstieg hat indes auch Chef Braun reich gemacht: Er hält gut sieben Prozent der Anteile, ein Paket im Wert von mehr als 1,6 Milliarden Euro. Nun gilt die Aktie als sehr teuer. Wollen die Münchner Anlegerlie­bling bleiben, darf er nicht nachlassen.

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FOTO: SVEN HOPPE/DPA Die Firmenzent­rale des Börsenaufs­teigers Wirecard liegt in einem Vorort von München.

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