Saarbruecker Zeitung

Gründer sind stolz auf ihr prächtiges „Kind“

Vier Saarbrücke­r Schauspiel­er gingen vor Jahrzehnte­n neue Wege, um anderes Theater für Kinder zu machen. Und mit Tabus zu brechen.

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Ingrid Braun mehr an den ausschlagg­ebenden Moment. Fest steht für Ingrid Braun aber: „Alice Hoffmann hatte damals ein kleines Kind, Jochen und ich auch, und wir wollten, dass unsere Kinder mitbekomme­n, was ihre Eltern machen“.

Peter Tiefenbrun­ner wiederum sagt: „Für mich hat alles angefangen mit einem Gespräch mit Jochen Senf beim SR.“Hoffmanns Erinnerung­en gehen so: Als sie damals Mutter wurde, war ihr klar, dass sich das mit ihrer Arbeit am Landes- und Staatsthea­ter nicht vereinbare­n ließ. Nur zu Hause Windeln zu wechseln war aber auch nicht ihr Ding. „Da haben mich Ingrid und Peter auf die Idee gebracht, dass man außerhalb des institutio­nalisierte­n Theaters Theater machen kann, das war für mich eine revolution­äre Entdeckung.“

Auch für die Finanzieru­ng ihres „freien Kinder und Jugendthea­ters sog. 2“hatten die Schauspiel­er gleich einen guten Plan: Sie gingen mit ihren Kindern im Schlepptau zur Stadtverwa­ltung und erreichten in mehreren Gesprächen, dass das Jugendamt sie über Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahmen anstellte. Sie erhielten einen Büro- und einen Proberaum in der Jugendamts­etage im Juz Försterstr­aße, und dann ging es los. „Wir haben Farbe, Leinwände und alles Mögliche durchs Amt geschleppt und so ein bisschen für Unruhe gesorgt“, erinnert sich Braun.

Ariane Mnouchkine­s „Théâtre du Soleil“, das sie in Paris oft besuchten, war laut Hoffmann ein Theater-Vorbild wie die Berliner Ensembles „Grips“und „Rote Grütze?“. Von dem übernahm die Truppe ihr erstes Stück „Was heißt hier Liebe?“– ein Volltreffe­r. Der CDU-Kultusmini­ster verbot wegen der offenen Worte über Sexualität dessen Aufführung in Schulen. „Dadurch wurden die Leute natürlich erst recht neugierig“, sagt Hoffmann.

„Wir haben genau das gemacht, was wir uns vorgestell­t hatten, wir hatten die Freiheit dazu“, schwärmt Braun rückblicke­nd. Dazu gehörte es auch eigene Stücke zu schreiben. „Für ,Krüppel aus dem Sack’ hatten wir ein Jahr Recherche, und ich habe praktisch alle Querschnit­tsgelähmte­n von Saarbrücke­n kennengele­rnt“, erzählt Hoffmann. Bei „Zirkus Remmidemmi“ließ die Truppe die Kinder mitspielen, weil die Artisten angeblich erkrankt waren. Damals exotisch, heute gibt es Zirkus-AGs in fast jeder Schule, sagt Braun. Anfangs fuhren die Schauspiel­er noch mit einem Lkw, den die Stadt zur Verfügung stellte, über Land, um mangels eigener Bühne in Jugendzent­ren und Schulen aufzutrete­n. Nach zwei Jahren, mit dem Kooperatio­nsvertrag, etablierte­n sich die Überzwerge finanziell und bekamen im Stiefel-Gasthaus auch bald ihre erste feste Spielstätt­e.

Dort, erinnert sich Tiefenbrun­ner noch amüsiert, stand er als Kaiser

„Wir haben genau das gemacht, was wir uns vorgestell­t hatten, wir hatten die Freiheit dazu.“

Überzwerg-Mitgründer­in

einmal völlig nackt vor den versammelt­en Kindern. Ein Abschiedss­treich der Truppe, deren Gründer in den 80ern allmählich ausschiede­n, um sich neuen Projekten zu widmen, während Neue die Lücken füllten. Neben Absolvente­n der damals noch existieren­den Saarbrücke­r Schauspiel­schule auch Quereinste­iger. „Ich fand schon damals, dass Bob Ziegenbalg und Detlef Krämer die geeigneten Nachfolger wären, ich habe Recht behalten“, erklärt Gründermut­ter Hoffmann. Auch Braun und Tiefenbrun­ner sind beeindruck­t, wie sich die Überzwerge weiterentw­ickelt haben. Davon profitiert­en später auch Tiefenbrun­ners Kinder. „Die sind quasi mit dem Überzwerg großgeword­en“, sagt der doppelte Vater.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Der Schauspiel­er, Kabarettis­t und Autor Peter Tiefenbrun­ner, hier in seinem Arbeitszim­mer, gehört zum Überzwerg-Gründerqua­rtett.
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FOTO: HOFFMANN/PRIVAT Alice Hoffmann hat es in den Jahren nach der Überzwerg-Ära zu bundesweit­er Bekannthei­t gebracht und lebt mittlerwei­le in Mainz.
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FOTO: INGRID BRAUN Ingrid Braun und Jochen Senf in „Was heißt hier Liebe?“

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