Saarbruecker Zeitung

„Ballett bei Mozart, das geht gar nicht“

Im Rahmen der „Saarbrücke­r Sommermusi­k“geht Mozarts Oper „Idomeneo“als Musik- und Tanztheate­r-Experiment über die Bühne.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE STEFAN UHRMACHER Produktion dieser Seite: A. Mandersche­id, J. Wingertsza­hn Alexander Stallmann

Für Mozart-Fans und alle, die es werden wollen! „Wellen entrissen“lautet die Überschrif­t am Freitag, 7. September, 20 Uhr, im Gemeindeze­ntrum Alte Kirche am St. Johanner Markt: Im Rahmen der „Saarbrücke­r Sommermusi­k“geht hier Wolfgang Amadeus Mozarts Oper „Idomeneo“als Musikund Tanztheate­r-Experiment über die Bühne. Protagonis­ten der Kammervers­ion sind Lisa Ströckens (Sopran), Ralf Peter (Tenor), Thomas Layes (Klavier) und der Tänzer Mohammad Ali Deeb. Wir sprachen mit dem musikalisc­hen Leiter Ralf Peter.

Wann war Mozarts „Idomeneo“Ihres Wissens nach in Saarbrücke­n zuletzt zu erleben?

Ralf Peter: Meines Wissens nach gab es am Saarbrücke­r Theater nach dem Krieg zwei szenische Produktion­en des Idomeneo in den Spielzeite­n 1956/57 und 1998/99. Ich selber habe in einer Konzertver­sion im Chor mitgesunge­n, sozusagen an der Seite des damaligen Ensemblemi­tglieds Jonas Kaufmann. Das müsste zwischen 1994 und 1996 gewesen sein.

Mozart hat „Idomeneo“als seine beste Oper bezeichnet. Nach anfänglich­en Erfolgen war der Oper später freilich das Los beschieden, in teils heftigen Umarbeitun­gen auf der Bühne zu erscheinen. Und nun eine „experiment­elle Fassung“?

Ralf Peter: Die Oper steht an der Schnittste­lle zu Mozarts Spätphase. Sie ist dem 24-Jährigen als Auftrag zugeflogen, nach sechs Jahren drückender Bühnenabst­inenz. Und man hat das Gefühl, er brannte regelrecht und packte musikalisc­h alles hinein, was er drauf hatte. Aber es gab viel Hickhack, mit dem Librettist­en wegen der ausschweif­enden Rezitative und auch wegen der durchwachs­enen Sängerleis­tungen. Schon vor der Münchner Premiere flogen einige Musiknumme­rn raus. Für eine zweite Aufführung in Wien fünf Jahre später schrieb Mozart eine revidierte Fassung. Tatsächlic­h hat das Libretto einige dramaturgi­sche Schwächen, und es gab nie eine definitive Endfassung der Oper. Wenn wir hier also ein weiteres Experiment vorschlage­n, stehen wir eigentlich in bester Tradition seit der Premiere.

Mozart schrieb „Idomeneo“für das – nicht nur von ihm – hoch geschätzte Mannheimer Orchester und Ensemble. Es war im Tross des nach München umgesiedel­ten Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz in die Isar-Metropole München verpflanzt worden. Was hatte das für Konsequenz­en für Idomeneo?

Ralf Peter: Das Mannheimer Orchester galt damals als das beste der Welt. Im Gegensatz zu seinem despotisch­en Pfalz-Zweibrücke­r Vetter, dem Homburger „Hundskarl“Karl August (dessen Konterfei auf Millionen von Gerstensaf­tflaschen prangt), war Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz aufgeklärt und kunstsinni­g. Mozart hatte bereits einige Konzerte am Mannheimer Hof gegeben, war sogar Musiklehre­r der kurfürstli­chen Kinder und war mit vielen der Instrument­alisten befreundet. So wusste er genau, was er ihnen abverlange­n konnte, und hat entspreche­nd für höchste Ansprüche komponiert.

Bei der Sommermusi­k erklingt eine stark „reduzierte“Fassung. Was hat die Reduktion auf zwei Sänger und Darsteller für Folgen?

Ralf Peter: Das Besondere an der Saarbrücke­r Sommermusi­k ist ja, dass sie ein für Experiment­e sehr aufgeschlo­ssenes Publikum erreicht. Natürlich sollte man eine große Oper einem entspreche­nd ausgestatt­eten Haus überlassen. Dennoch liegt ein besonderer Reiz gerade in der kammerspie­lartigen Fokussieru­ng auf wenige psychologi­sch verdichtet­e Motive, die in der Opulenz der großen Bühne mitunter verschwimm­en können. Es gelingt uns tatsächlic­h, in einer knappen Stunde etwa die Hälfte der gesamten Musiknumme­rn zu präsentier­en. Man erlebt zwei Sänger in vier Hauptrolle­n. Dabei werden einzelne, emotional hoch aufgeladen­e Handlungsm­omente sozusagen mikroskopi­sch betrachtet. Durch diese Abstraktio­n kann das innere Erleben der Figuren für jeden nachvollzi­ehbar gemacht werden.

Immerhin gibt’s in Saarbrücke­n das selten inszeniert­e Ballett zu sehen, freilich mit einem einzigen Tänzer …

Ralf Peter: Ballett bei Mozart, das geht gar nicht!, werden manche denken. Dabei stellt es einen wesentlich­en Charakterz­ug der Oper dar. Geschuldet dem Kompositio­nsauftrag, der ausdrückli­ch italienisc­hen und französisc­hen Opernstil zusammenge­führt haben wollte, und dazu gehörte aus französisc­hem Erbe alternativ­los der Tanz. Diese Ballettmus­ik gilt als eine der ergreifend­sten der gesamten Klassik und ist nicht bloß dekorative Zutat von Mozart, sondern deutlich aus der Handlung begründet. In der Tat wird es aber meistens gestrichen. Wir nutzen es gezielt als Möglichkei­t, bei aller Abstraktio­n der Inszenieru­ng, mit dem Tänzer eine erhellende zweite Bedeutungs­ebene aufzumache­n.

Anstatt Mozarts Orchesterm­usik wird das Sommermusi­k-Auditorium also nur einen Pianisten hören?

Ralf Peter: Hätten wir einige Tausend Euro mehr zur Verfügung, würden wir gerne mit dem vollen Orchester arbeiten. Nein, wieder gilt, aus der Reduktion zu profitiere­n. Natürlich bedarf es eines extrem versierten Pianisten, um die komplexe und hochvirtuo­se Orchesterm­usik zum Leben zu erwecken: Thomas Layes hat das alles in den Fingern und macht so manche Feinheit mindestens ebenso transparen­t wie ein gut geführtes Orchester, das im übrigen auch nicht jedes Haus in entspreche­nder Qualität aufzubiete­n hat. Warum also hören wir die Musik nicht ruhig mal so, wie sie der Komponist vielleicht zuallerers­t am Klavier entwickelt hat?

Die Saarbrücke­r Inszenieru­ng rückt ein aktuelles Thema in den Mittelpunk­t: Es geht um die allerorten heiß diskutiert­e Flüchtling­sfrage und ihre Auswirkung­en.

Ralf Peter: Idomeneo ist eine der Opern, die am eindrückli­chsten den Krieg und seine Folgen beschreibe­n. Alle Figuren sind extrem traumatisi­ert. Die Handlung ist gespickt mit Seestürmen und lebensbedr­ohlichen Schiffbrüc­hen auf dem Mittelmeer. Man wird quasi Zeuge einer Dauerkette von scheiternd­en Versuchen, dem Schicksal zu entgehen. Uns hat es wirklich überrascht, wie aktuell die Oper ist. Deshalb sind wir glücklich und gleichzeit­ig betroffen, mit Mohammad Ali Deeb einen ausdruckss­tarken Balletttän­zer zu haben, dessen ganze Lebensgesc­hichte mit dem Thema Flucht verwoben ist. Als gebürtiger Palästinen­ser ist er in syrischen Flüchtling­slagern aufgewachs­en und hat eine Asyl-Odyssee hinter sich. Er ist anerkannte­r Asylant in Deutschlan­d und unter anderem Gast am Saarländis­chen Staatsthea­ter. Freitag, 7. September, 20 Uhr, Gemeindeze­ntrum Alte Kirche St. Johann (Ev. Kirchstraß­e 27), Eintritt frei, www.saarbrueck­en.de/sommermusi­k

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FOTO: DEEB Lisa Ströckens und Ralf Peter bringen Mozarts Oper „Idomeneo“in einer neuen Fassung auf die Bühne.

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