Saarbruecker Zeitung

Lassen wir ihnen doch ihr Kopftuch!

- Heinz-Leo Laturell, Gersheim Marion Ritz-Valentin, Saarbrücke­n Helmut Fritz, Lebach

Bei meinem letzten Hamburg-Besuch ist mir bislang zum zweiten Mal eine Frau in der Nikab begegnet. Sollte ich die Person angesichts hoher Temperatur­en bedauern oder belächeln? „Wer tut sich so etwas an?“, ging mir durch den Kopf. Ihr Mann, hinter dem sie ein paar Schritte zurückblie­b, dem Wetter angepasst, in luftiger Kleidung. Was würden wohl Nudisten denken, wenn ich mit Badehose und Shirt am Nacktbades­trand läge? Wie würde ich mich dabei fühlen? Ich würde es gerne mal erleben, dass bei einer Großdemo alle Teilnehmer die islamische Vollversch­leierung tragen. Die Verzweiflu­ng der Sicherheit­sorgane wäre wohl groß, das Vermummung­sverbot greift an dieser Stelle offensicht­lich nicht. Es gibt für uns viele kaum nachvollzi­ehbare Gründe, warum sich Frauen einer uns fremden Kultur verhüllen (müssen). Vielleicht ist es eine Art einer religiös begründete­n neurotisch­en Störung, nicht der Frauen, sondern der Männer dieser Kultur. Mit der Diskussion um die Vollversch­leierung oder dem Tragen eines Kopftuches kommen wir nicht weiter und lösen bestenfall­s eine Art Trotzreakt­ion der Betroffene­n aus. Islamische Frauen unterliege­n oft Gruppenzwa­ng und grenzen Geschlecht­sgenossinn­en aus,

wenn sie kein Kopftuch tragen. Mädchen wollen manchmal eines, weil Mama es auch trägt. 14-Jährige tragen ihr Kopftuch mit gewissem Stolz, da sie so besondere Anerkennun­g erfahren. Keine Frage, streng gläubige Muslime sind überzeugt, dass Allah dies fordert. So wäre die Frage zur Freiwillig­keit beantworte­t. Gehen katholisch­e Kinder mit neun Jahren freiwillig zur Kommunion? Unterliege­n sie nicht dem Druck der Eltern und Gruppenzwa­ng? Lassen wir den islamische­n Frauen ihr Kopftuch, den orthodoxen Juden ihre Hüte, Haarlocken oder die Kippa, erfreuen wir uns daran, dass der christlich­e und liberale Gott auf eine bestimmte Kleiderord­nung verzichtet.

Sie steuern unsere Sichtweise bezüglich der Welt und Gesellscha­ft. Hier wird das Zerrbild, das Männer vom Weiblichen geschaffen haben, transporti­ert: die reine, brave Frau einerseits, die bedrohlich­e Verführeri­n anderersei­ts. Das hatten wir im Christentu­m auch, es wirkt im Unterbewus­stsein bis heute. Dies ist kein gutes Leitbild für heranwachs­ende Mädchen.

Wie man jetzt erlebt, zeigt sich der Wert einer solchen Bestimmung erst, wenn Menschen tatsächlic­h damit konfrontie­rt werden. Zurzeit ist es der Islam mit seinem umstritten­en Symbol „Kopftuch“, der heftige Diskussion­en auslöst. Was, wenn andere große Religionsg­emeinschaf­ten nachziehen und auf ihre grundgeset­zlich verankerte­n Rechte pochen? Da hilft uns wohl nur die konsequent­e Trennung von Religion und Staat.

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