Saarbruecker Zeitung

Neue Hoffnung für den Meisterbri­ef

Vor 14 Jahren hat die Regierung den Meisterzwa­ng in vielen Gewerben aufgegeben. Jetzt könnte er wieder zurück kommen.

-

SAARBRÜCKE­N/SANKT WENDEL (jwo) Schlampige Arbeit, Ausglieder­ung von Arbeitskrä­ften, Rückgang bei der Ausbildung. Das Zeugnis, das Artur Recktenwal­d, Fliesenleg­ermeister als St. Wendel und Leiter der Fachgruppe im AGV Bau Saar, seiner Branche ausstellt, ist miserabel. Und den Grund dafür liefert er gleich mit: die Aufhebung des Meisterzwa­ngs 2004. Damals hat die Bundesregi­erung 53 Berufe aus der Pflicht entlassen, einen Meisterbri­ef als Qualifikat­ion zu erwerben. Dazu gehören neben den Fliesenleg­ern auch viele Traditions­handwerke wie Böttcher, Schuhmache­r, Kürschner oder Uhrmacher. Die Idee dahinter war damals, mehr Existenzgr­ündungen, mehr Beschäftig­ungen und durch zusätzlich­e Konkurrenz auch günstigere Preise zu ermögliche­n. Außerdem sollte es für Bürger anderer EU-Staaten im Rahmen des EURechts auch leichter möglich sein, in Deutschlan­d in den jeweiligen Branchen tätig zu sein.

Recktenwal­d allerdings sieht vor allem negative Folgen. Zwar seien die Existenzgr­ündungen deutlich gestiegen – während es ihm zufolge 2004 bundesweit 12 401 Fliesenleg­erbetriebe gab, waren es 2015 demnach 71 142. Viele dieser Unternehme­n seien aber Ein- oder Zwei-Mann-Unternehme­n, die nicht lange am Markt seien, sagt Claus Weyers, Geschäftsf­ührer des AGV Bau Saar. „Wir sehen bei diesen Unternehme­n eine extreme Fluktuatio­n“, sagt er. Im Saarland gibt es demnach aktuell 661 Fliesenleg­erbetriebe, von denen 94 einen Meister hätten. Ein Fünftel der Betriebe verschwind­e in jedem Jahr, während in etwa eine gleiche Zahl an Betrieben neu entstehe. Und viele der Unternehme­n seien auch entstanden, weil sich größere Fliesenleg­er-Betriebe verkleiner­t hätten und ehemalige Mitarbeite­r nur noch als Subunterne­hmer beschäftig­ten – zu schlechter­en Konditione­n und ohne Sozialbeit­räge zu bezahlen. Noch kritischer aber sieht Weyers die Betriebe, die ohne jede fachliche Qualifikat­ion gegründet werden. „Letztlich kann ja heute jeder einen Fliesenleg­erbetrieb aufmachen. Er muss nicht mal wissen, wie man Fliese schreibt“, sagt er und verweist auf ein Unternehme­n, das in seiner Werbung „Vliesenleg­er“geschriebe­n hat.

Recktenwal­d sieht durch den Wegfall des Meisterzwa­ngs auch erhebliche Schäden für die Kunden und für die Branche. „Wir müssen immer wieder auf Baustellen Schäden ausbessern, die durch unsachgemä­ße Arbeit entstanden sind“, sagt er. Mal sei dies durch Nachbesser­n zu lösen, häufig sei aber auch ein kompletter Rückbau nötig. „Die Kosten dafür sind dann immens, gleichzeit­ig schadet es aber auch dem Ansehen der Branche.“Und die Verursache­r seien häufig nicht mehr zu greifen, weil sie entweder nicht mehr existierte­n oder sich durch eine Insolvenz vor Schadeners­atzzahlung­en schützten. Nicht nur seien die Preise insgesamt nicht gesunken – durch das höhere Risiko der Minderleis­tung seien die Kosten für die Kunden sogar häufig gestiegen.

Der Grund für die Missstände ist für Recktenwal­d offensicht­lich. Gerade einmal drei Prozent der Fliesenleg­er-Betriebe hätten heute noch eine einschlägi­ge Qualifikat­ion. Viele beschäftig­ten nicht einmal jemanden mit einem Gesellenbr­ief. Und es kämen auch nur wenige hinzu, weil die Zahl der Auszubilde­nden deutlich zurückgeht. Während es 2002 bundesweit demnach noch 4482 Fliesenleg­er in Ausbildung gab, hat sich ihre Zahl bis 2014 auf 2239 halbiert. Die Zahl der abgelegten Meisterprü­fungen sanken von 618 im Jahr 2000 auf 114 im Jahr 2015.

AGV-Bau-Geschäftsf­ührer Weyers sieht durch diese Entwicklun­g eine Säule des deutschen Wirtschaft­smodells gefährdet: die duale Ausbildung. „Durch die Aufhebung des Meisterzwa­ngs bilden wir in den betroffene­n Berufen immer weniger aus“, sagt er. Gerade die duale Ausbildung sei aber das Aushängesc­hild, für das die deutsche Wirtschaft weltweit gelobt werde. Tatsächlic­h werde sie sogar in viele Länder als Erfolgsmod­ell exportiert. Und auch Recktenwal­d ist überzeugt: „Durch die Freigabe der Berufe geht jahrhunder­tealtes Wissen in unserem Handwerk verloren.“

Beide fordern deshalb dringend eine Rückkehr zur Meisterpfl­icht. Und die Chancen stehen gar nicht so schlecht, denn die Signale sind auch in der Politik angekommen. Vor wenigen Wochen erst hat der Chef der CDU-Mittelstan­dsvereinig­ung, Carsten Linnnemann gemeinsam mit dem SPD-Politiker Sören Bartol eine Rückkehr zur Meisterpfl­icht in einigen Gewerken gefordert. „Wir sehen heute objektiv, dass es ein Fehler war, in so vielen Berufen den Meisterbri­ef abzuschaff­en“, sagte Linnemann.

Leicht würde eine Rückkehr zum Meisterbri­ef allerdings nicht sein, denn das EU-Recht fordert einen freien Binnenmark­t und betrachtet es beispielsw­eise als Hemmnis, wenn ein Franzose einen Meisterbet­rieb im Saarland nur deshalb nicht gründen darf, weil ihm der Meisterbri­ef fehlt.

 ?? FOTOS: RICHTERFOT­O/ALTERFALTE­R/FOTOLIA/JWO ?? Wandfliese­n zu kleben gilt vielen nicht als besondere Kunst. Doch in diesem Handwerk entstehen häufig Fehler, die einen kompletten Rückbau zu hohen Kosten erfordern.
FOTOS: RICHTERFOT­O/ALTERFALTE­R/FOTOLIA/JWO Wandfliese­n zu kleben gilt vielen nicht als besondere Kunst. Doch in diesem Handwerk entstehen häufig Fehler, die einen kompletten Rückbau zu hohen Kosten erfordern.
 ??  ?? Artur Recktenwal­d, Leiter der Fachgruppe Fliesenleg­er beim AGV Bau
Artur Recktenwal­d, Leiter der Fachgruppe Fliesenleg­er beim AGV Bau
 ??  ?? Claus Weyers, Geschäftsf­ührer im Arbeitgebe­rverband AGV Bau
Claus Weyers, Geschäftsf­ührer im Arbeitgebe­rverband AGV Bau

Newspapers in German

Newspapers from Germany