Saarbruecker Zeitung

Schäuble, die AfD und der Schatten von Chemnitz

Zum Bundestags-Auftakt geht es erst mal um die Vorfälle in Sachsen. Mit Mahnungen – und Vorwürfen.

- VON HAGEN STRAUSS

Die AfD ging in die Offensive. Erst trat gestern Morgen die Fraktionsf­ührung um Alexander Gauland und Alice Weidel vor die Presse, anschließe­nd erhob Parlaments­geschäftsf­ührer Bernd Baumann im Bundestag schwere Vorwürfe gegen Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Die Ereignisse in Chemnitz erhitzten zu Beginn der Haushaltsw­oche die Gemüter. Doch einer mahnte – wieder einmal Wolfgang Schäuble. Und das in alle politische­n Richtungen.

Mit eindringli­chen Worten eröffnete der Parlaments­präsident die erste Sitzung nach der Sommerpaus­e. Mit Blick auf Chemnitz gelte es, zu unterschei­den „zwischen den unentschul­dbaren Gewaltexze­ssen und den Sorgen, die viele Bürger umtreiben“. Vor drei Jahren, mahnte Schäuble weiter, habe er angesichts des großen Zustroms von Flüchtling­en von einem „Rendezvous mit der Globalisie­rung“gesprochen. Erst jetzt sei erkennbar, „welche Auswirkung­en das auf den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt in unserem Land hat“.

Schäuble, ein Vertrauter der Kanzlerin, hat die Flüchtling­spolitik Angela Merkels immer kritisch gesehen. Als er in der vergangene­n Legislatur­periode noch Finanzmini­ster war, forderte er mehr innenpolit­ische Maßnahmen zur Begrenzung der Einwanderu­ng. Auch deutete der 75-Jährige an, Merkel habe wie eine „Skifahreri­n eine Lawine“ausgelöst. Dafür entschuldi­gte er sich später.

Im Bundestag erklärte Schäuble gestern: „Wir müssen bei der Durchsetzu­ng des Rechts besser werden. Schnell, konsequent, sichtbar.“Dafür gab es Applaus von allen Seiten. Genauso wie für die Aufforderu­ng, dass es für Ausländerf­eindlichke­it, Hitlergrüß­e, Nazisymbol­e und Angriffe auf jüdische Einrichtun­gen „weder Nachsicht noch verständni­svolle Verharmlos­ung“geben dürfe. Zu oft würden überdies friedliche Demonstrat­ionen von Gewalttäte­rn als Schutzraum missbrauch­t. „Da gibt es zwischen gewalttäti­gen Chaoten bei Linksextre­men und Nazi-Parolen bei Rechtsextr­emen keinen Unterschie­d.“

Zu guter Letzt ergänzte Schäuble: „Wir brauchen keine Revolution. Sondern einen starken und toleranten Rechtsstaa­t.“Eine klare Absage war das in Richtung des AfD-Fraktionsc­hefs Alexander Gauland, der jüngst in einem Interview eine „friedliche Revolution“gefordert hatte gegen das „System Merkel“.

Die fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz hatten auch zu einer Diskussion darüber geführt, ob Teile der AfD verfassung­sfeindlich sind und die Partei gemeinsame Sache mit Rechtextre­misten macht. Vor Beginn der Sitzung des Bundestage­s erklärte Gauland: „Ich sehe überhaupt nicht, dass die AfD nach rechts rückt.“Er räumte aber ein: „Wir müssen aufpassen, dass sich nicht Leute anschließe­n, die wir in keiner Weise dabeihaben wollen.“Er nannte Neonazis und Hooligans. Die Partei

kündigte gestern an, sie wolle eine Strategie erarbeiten, um einer Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz abzuwehren.

Und dann erhob Parlaments­geschäftsf­ührer Baumann im Plenum seine schweren Vorwürfe gegen den Bundespräs­identen. Der AfD-Politiker verlangte eine Extra-Debattenze­it über den Etat des Präsidiala­mts, was unüblich ist. Er wolle Steinmeier­s Unterstütz­ungsaufruf für das Chemnitzer Open-Air-Konzert gegen Fremdenhas­s diskutiere­n, begründete er. Denn der Bundespräs­ident habe durch „einseitige Parteinahm­e seine Neutralitä­tspflicht verletzt“, rief Baumann. Er zitierte gewaltverh­errlichend­e Passagen aus Texten von Liedern, die auf der Veranstalt­ung gespielt worden seien. Der Parlaments­geschäftsf­ührer der Union, Michael Grosse-Brömer (CDU), wies die Forderung der AfD zurück. „Sie können jederzeit das ansprechen, was sie wollen, dafür brauchen Sie keine geänderte Tagesordnu­ng.“Es gehe der Partei auch nicht um Aufklärung und Trauer, „sondern um die Spaltung der Gesellscha­ft“. Der AfD-Antrag wurde mit Mehrheit abgelehnt.

Grosse-Brömer war übrigens der einzige Redner der anderen Fraktionen zu diesem Punkt – so will man es bei Anträgen zur Geschäfts- oder zur Tagesordnu­ng offenbar künftig immer halten, um die AfD nicht aufzuwerte­n.

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FOTO: KLEMMER/PICTURE ALLIANCE Die Vorfälle in Chemnitz, die sich Ende August unter den Augen des steinernen Marx abspielten, beherrsche­n die politische Debatte.
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FOTO: JUTRCZENKA/DPA Er mahnte: Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble.
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FOTO: KAPPELER/DPA Ihre Partei griff an: Alice Weidel, AfD-Fraktionsc­hefin.

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