Saarbruecker Zeitung

Der Liebling des Präsidente­n

PORTRÄT Ein Vertrauter von Emmanuel Macron soll ungeachtet des Verdachts der Günstlings­wirtschaft neuer Chef der französisc­hen Nationalve­rsammlung werden.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS „Der Mann, der nie lacht“, nennt ihn die Zeitung „Parisien“. In der Tat wirkt Richard Ferrand immer etwas angespannt. Nur bei den Wahlkampfa­uftritten von Emmanuel Macron zeigte der grauhaarig­e 56-Jährige im vergangene­n Jahr ein breites Lächeln. Der frühere Sozialist hatte sich als erster Abgeordnet­er schon 2016 dem damaligen Wirtschaft­sminister angeschlos­sen, den er bei den Debatten um das Macron-Gesetz zur Ankurbelun­g der Wirtschaft kennen gelernt hatte. Wochenlang­e Nachtsitzu­ngen schufen damals eine besondere Nähe zwischen dem Jungstar und dem parlamenta­rischen Berichters­tatter, die bei heute besteht. „Meine Beziehung zum Präsidente­n ist bekannt. Wir haben das Abenteuer zusammen begonnen, das ist kein Geheimnis“, sagt Ferrand.

Als Macron im Vorjahr die Wahl gewann, war klar, dass sein treuer Weggefährt­e einen Ministerpo­sten bekommen würde. Hatte der Kandidat doch dem Generalsek­retär von „En Marche“viel zu verdanken. Ferrand hatte die noch junge Bewegung geformt und war mit Macron durch das Land gezogen, um Werbung für die „neue Welt“des damals 39-Jährigen zu machen.

Der Abgeordnet­e gehörte zu den wenigen in Macrons Umfeld, die jahrzehnte­lange politische Erfahrung haben. Begeistert von François Mitterrand, schloss Ferrand sich schon mit 18 den Sozialiste­n an. 1991 wurde der mit einem Jura- und einem Deutsch-Diplom ausgestatt­ete Kommunikat­ionsfachma­nn dann Berater des Staatssekr­etärs für Integratio­n, Kofi Yamgnane. 1998 übernahm der gebürtige Südfranzos­e, der seit Jahrzehnte­n in der Bretagne lebt, die Leitung der Krankenver­sicherung Mutuelles de Bretagne. Ein Job, den er 14 Jahre lang ausübte. In dieser Zeit wird ihm auch vorgeworfe­n, Günstlings­wirtschaft betrieben zu haben. Ein Verfahren wurde eingestell­t, aber ein zweites läuft noch. Als der Verdacht, seine Lebensgefä­hrtin bei einer Vergabe begünstigt zu haben, nach seiner Berufung zum Wohnungsba­uminister bekannt wurde, musste er sein Amt nach nur einem Monat wieder aufgeben.

Der Präsident betraute den dreifachen Vater stattdesse­n mit der Leitung der Parlaments­fraktion seiner Partei La République en Marche (LREM). Eine Aufgabe, die Ferrand ohne große Begeisteru­ng erfüllte. Oft fehlte der Fraktionsc­hef im Palais Bourbon, wo die konservati­ve Opposition per Twitter schon eine ironische Suchmeldun­g aufgab. „Es hat ihm keinen Spaß gemacht und das hat man gesehen“, zitiert die Zeitung „Figaro“einen Abgeordnet­en. Die Leitung der LREM-Parlamenta­rier, von denen die meisten nicht aus der Politik kommen, war für Ferrand eine schwere Aufgabe. Doch die Verabschie­dung des auch in den eigenen Reihen umstritten­en Einwanderu­ngsgesetze­s im Frühjahr zeigte, dass Macrons treuer General sich durchsetze­n kann.

Als der Präsident im Sommer durch die Affäre um seinen prügelnden Leibwächte­r Alexandre Benalla unter Druck kam, hielt Ferrand die Fraktion zusammen. Die meisten LREM-Abgeordnet­en bedauern es deshalb auch, dass der Fraktionsc­hef sie verlässt. Die Partei wählte ihn mit mehr als 64 Prozent zu ihrem Kandidaten, dem durch die absolute Mehrheit von LREM in der Nationalve­rsammlung das Amt auch sicher ist. Ferrand folgt auf François de Rugy, der Umweltmini­ster wurde.

Mit Ferrand setzt der Staatschef auf Stabilität in der Nationalve­rsammlung, die in den kommenden Wochen weitere Reformgese­tze verabschie­den soll. Den Eindruck zu großer Nähe zu Macron will der neue Präsident der ersten Parlaments­kammer allerdings verwischen. Nach seiner Wahl sagte er: „Ich bin kein Liebling, sondern ein demokratis­ch gewählter Mann.“

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FOTO: DE SAKUTIN/DPA Richard Ferrand engagierte sich im Wahlkampf massiv für Macron.

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