Einzelschicksal des Krieges
Regisseur Damien Odoul zeigt in seinem Drama auf, wie viel „Angst“auch Soldaten haben.
SAARBRÜCKEN (ry) Frankreich, 1914: Der 19-jährige Gabriel (Nino Rocher) sowie seine Freunde Bertrand (Eliott Margueron) und Théophile (Théo Chazal) melden sich freiwillig, um im Ersten Weltkrieg für ihr Land in den Kampf zu ziehen. Die jungen Männer sind voller Neugier und Vorfreude, für sie ist das alles ein großes Abenteuer – bis sie die Realität des brutalen Schlachtens an der Front einholt. Théophile und Bertrand fallen dem Krieg zum Opfer – der eine wird wahnsinnig, der andere stirbt auf dem Schlachtfeld, und Gabriel versucht, zwischen all der Desillusion, dem Hass und der Verzweiflung in den Schützengräben nicht den Verstand zu verlieren.
„Ich wurde von diesem Krieg angezogen. Heute speie ich ihn aus“, schreibt er seiner Freundin Marguerite (Aniouta Maïdel) in einem seiner vielen Briefe, die lange sein einziger Anker zu seinem vorherigen Leben sind – ein Leben, das ihm mit der Zeit immer und immer fremder wird, bis er es schließlich aufgibt: „Dieser Krieg hat alles in mir verbrannt. Wie könntest Du mich so lieben?“. Zu grausam sind die Erfahrungen, zu surreal die Bilder und zu absurd der Gedanke, nach all dem jemals wieder ein normales Leben zu führen. Denn auch wenn Gabriel nicht gefallen ist, der Krieg hat sich ihn bereits einverleibt.
Tag um Tag ringt er mit dem Tod, vier Jahre auf dem Schlachtfeld, vier Jahre umgeben von Leid, Dreck und Kadavern, von Angst und Wut und dann ist er da, der langersehnte „Frieden“. Doch für Gabriel ist dies der blanke Hohn: „Das Wort Sieg hat keinen Sinn mehr.“
Vom Ersten Weltkrieg wissen Historiker sowie die Menschen Europas alles – oder fast alles. Zumindest denken sie das, solange es um die historischen Fakten geht. Sie umgeben jeden einzelnen Bürger der Länder, in denen dieser Krieg tobte, stehen auf Denkmälern und Stadtmauern geschrieben. Aber eines ist und bleibt unvorstellbar: die Furcht, die jede Zelle der Soldaten einnahm und sie bis aufs Mark durchdrang. Mit seinem Film „Angst“hat sich Regisseur Damien Odoul der anspruchsvollen Aufgabe gestellt, sich eben diesem Gefühl anzunähern, es vorstellbar und visuell greifbar zu machen und wurde dafür im Jahr 2015 mit dem „Prix Jean-Vigo“ausgezeichnet.
Für Odouls Hauptdarsteller Nino Rocher war die Figur des Gabriel die erste große Hauptrolle. Darin porträtiert er glaubhaft die Schrecken des Krieges und dessen Auswirkungen auf den Menschen fernab seiner Funktion als Soldat. Nach seinem Mitwirken an „Angst“spielte Rocher in der Dramaserie „Un village français – Überleben unter deutscher Besatzung“, die den Zweiten Weltkrieg behandelt.
Angst, 22.55 Uhr, ARTE