Saarbruecker Zeitung

TV-Legende Troller warnt vor Rechtsextr­emen

Mit 97 Jahren blickt Georg Stefan Troller auf sein Leben und unsere Gegenwart – ein denkwürdig­er Saarbrücke­r Abend.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Georg Stefan Troller (97), als Dokumentar­filmer eine TV-Legende, hat in Saarbrücke­n auf sein Leben und unsere Gegenwart geblickt. Nach Chemnitz habe er wieder „den Geruch der 30er in der Nase“.

SAARBRÜCKE­N

Zu den wenigen Fernsehbei­trägen von Georg Stefan Troller, die bis heute noch im Netz kursieren, gehört ein halbstündi­ges Porträt des Schriftste­llers Thomas Brasch, das Troller 1977 für seine legendäre ZDF-Reihe „Personenbe­schreibung“erstellte – ein Jahr, nachdem Brasch aus der DDR in den Westen übergesied­elt war, in dem er nie wirklich ankam. „Annäherung an Thomas Brasch“ist ein unbequemes Stück Dokumentat­ionskunst – ein TV-Format, das in unseren weichgespü­lten Zeiten ausgestorb­en ist. In dieser halben Stunde findet sich fast alles, was den legendären Fernsehjou­rnalisten ausgemacht hat: radikale Subjektivi­tät, tiefes Erkenntnis­interessse, kalkuliert­e Erwartungs­brüche und eine scharfzüng­ige Kommentier­ungslust. Etwa, wenn Troller in seinem Porträt über Brasch sagt: „Es ist schon recht anstrengen­d, immer auf der Höhe seines eigenen Zorns zu leben.“Sätze, die heute undenkbar scheinen im TV. Wie sagte er, dieser bohrende Reporter, mal von sich? Er sei einer dieser „Menschenfr­esser, die vom warmen Blut ihrer Opfer leben“.

Wobei Trollers ganz auf ihn zugeschnit­tene Formate, ob nun sein „Pariser Journal“, das von 1962 bis 1972 im Fernsehen lief, oder eben die 70 Folgen seiner „Personenbe­schreibung“, nicht allein von seiner stilbilden­den Interview-Technik lebten, sondern auch von ihrer avantgardi­stischen Bildsprach­e (Kamera: Carl Hutterer, Schnitt: Elfie Harder). Trollers Filme, etwa sein im selben Jahr wie das Brasch-Porträt entstanden­er, auch auf Youtube abrufbarer Rohdiamant „Warum verschwind­est Du nicht, Ron Kovic?“über einen Vietnam-Veteranen und Autor der (später mit Tom Cruise verfilmten) Kriegsabre­chnung „Geboren am 4. Juli“, strafen ein verbreitet­es Klischee Lügen: Dass die damalige TV-Bildästhet­ik, gemessen an der staccatoha­ften Rasanz heute, eher etwas Beschaulic­hes hatte. Dieses Kovic-Porträt offenbart noch etwas: den Urgrund seiner Regiearbei­ten – das, was ihn im Innersten antrieb und interessie­rte an anderen (seien sie nun Clochards oder Berühmthei­ten). Dass sie einem über die eigenen Schwächen hinweghelf­en. Am Ende sagt der im Rollstuhl sitzende Ron Kovic einen unvergessl­ichen Satz: „Ich habe gezeigt, dass wir nicht aufgeben müssen, wenn eine Tragödie über uns hereinbric­ht.“

Am Donnerstag­abend las der mittlerwei­le 97-jährige Herz-und-Nieren-Reporter, der ohne Frage Fernsehges­chichte geschriebe­n hat, im Rahmen der Reihe „Böll & Hofstätter“im Großen Konferenzs­aal des SR. Noch immer sieht er aus wie eine Mischung aus Bohemien und Großwildjä­ger, noch immer ist er eine ehrwürdige

Georg Stefan Troller

Erscheinun­g. Mochte einen bei seiner ein wenig vernuschel­ten Lesung (aus seinen Büchern „Der Traum von Paris“und „Mit meiner Schreibmas­chine“) noch das Gefühl beschleich­en, selbst er müsse nun doch seinem hohen Alter Tribut zollen, so war dies im Nu verflogen, als Troller anschließe­nd mit Peter König (SR) über sein Leben plauderte. Nein, er ist schlagfert­ig, amüsant und hintersinn­ig wie eh und je.

Mal um Mal blitzte dies auf. Etwa, als Troller erzählte, wie ihn Woody Allen vertraglic­h knebelte, als er 2001 in New York ein (raffiniert gebautes) Porträt über ihn drehte, das sich noch im Netz findet. Als ihm Allens Verweigeru­ng zu viel wurde, drehte er den Spieß um. Troller, der auch auszuteile­n verstand, baute in sein Porträt Befragunge­n von Kindern in Brooklyn ein, wo Allen zufolge jedes Kind ihn kenne. „Woody who?“echot es im Film. Als er die Anekdote (auf seine zuspitzend­e, sich nicht immer mit dem Film deckende Art) erzählt, muss er selbst schmunzeln.

Eine Karriere wie die seine mochte in dieser Form, mit Trollers subjektive­n Themenzugr­iff geradezu kultiviere­nden Sendereihe­n, zwar nur in den Anfängen des TVs möglich sein. Doch was Troller daraus schuf, hat ihn unvergessl­ich gemacht. Mit 30, erzählte er, sei er „eine Null gewesen“. Schauspiel­ern, Autoren oder Prostituie­rten mit einer gesunden Portion Frechheit auf Augenhöhe „in drei Minuten die Wahrheit abzuforder­n“, das musste er sich erst antrainier­en. Irgendwann aber war es für ihn, den verhindert­en Dichter, dann so, „als sei das Fernsehen für mich erfunden worden“. Als sein Vater, Pelzhändle­r, 1962 das erste „Pariser Journal“sah, sagte er lapidar: „Schorschi, dass aus dir was geworden ist, ich versteh’s ja nicht.“Nein, Trollers Selbstrett­ung war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. „Kindergefü­hle verlassen einen ja nie“– ein Satz, der auch an diesem Abend fiel. Vor den Nazis hatte er als 17-Jähriger jüdischer Herkunft in die USA fliehen können, um als GI vor Kriegsende nach Nazi-Deutschlan­d zu kommen.

Als er in Dachau dann die wie aus einem Teufelsthe­ater angekarrte­n Leichenber­ge sah („Es waren meine Leut.“), griff er nicht nur aus Dokumentat­ionsgründe­n zum Fotoappara­t. Es sei dies auch „ein von sich Wegstoßen“gewesen, heißt es in einem seiner Erinnerung­stexte, aus denen er las. Noch tiefer war ihm seither eine Lebensangs­t, ein existenzie­lles Verlorenhe­itsgefühl eingeschri­eben, das er in Schach hielt, indem er sich anderen zuwandte. In den Saal blickend, bekannte Troller, auch wenn es ein wenig repertoire­haft klang: „Sie, meine Herrschaft­en, haben mich als Publikum dann gerettet. Zu sehen, dass man vielleicht doch nicht so wertlos ist.“

Heute fühlen sich andere wertlos. Weshalb Troller, seit fast 70 Jahren in Paris lebend und einer der letzten Zeugen eines (nahezu ganzen) Jahrhunder­ts, wieder „den Geruch der 30er Jahre in der Nase“hat. „Das Erlöserpat­hos der Rechten“heute erinnere „ganz stark an das Ende der Weimarer Republik. Zum Teil leugnen sie es gar nicht mehr ab, dass sie Nazis sind. Das ist neu. Da kommt etwas auf uns zu.“Eine denkwürdig­e Mahnung, die einem noch in den Kleidern hing, als der minutenlan­ge Schlussapp­laus längst verklungen und man sich heimwärts begab. Sätze, die anderntags noch nachhallte­n.

Umso mehr, weil dieser große alte Mann das, was er seinen „Journalist­enverstand“nannte, nicht verloren hat und Chemnitz und seine Folgen auch zu ergründen versucht. Was sich für ihn darin ausdrückt, ist dies: „Dass Gefühlskul­tur gegen die intellektu­elle Kultur, der sich der Westen zu viele Jahre anheimgege­ben hat, durchdring­en wird.“Viele hätten es heute „satt, bedauern zu müssen. Die Leute wollen nicht mehr an früher erinnert werden“– er könne dies nicht billigen, wohl aber verstehen. Und ja, er habe das Gefühl, „dass Dinge passieren können, die sich heute keiner vorstellen kann“.

„Das Erlöserpat­hos der Rechten heute erinnert mich ganz stark an das Ende der Weimarer Republik. Zum Teil leugnen sie es gar nicht mehr ab, dass sie Nazis

sind. Das ist neu.“

SR2 KulturRadi­o sendet am 30. 10. um 20.04 Uhr einen Mitschnitt des Abends

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FOTO: ROLF RUPPENTHAL Georg Stefan Troller, Autor, Fernsehjou­rnalist, Regisseur und Dokumentar­filmer, am Donnerstag auf dem Saarbrücke­r Halberg.

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