Saarbruecker Zeitung

Was die Wirtschaft­skrise in Deutschlan­d hinterlass­en hat

500 Milliarden Euro für die Banken: Das Rettungspa­ket, das die Bundesregi­erung im Jahr 2008 schnürt, schreibt Geschichte. Doch es ist erst der Anfang.

- Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Lothar Warscheid

(dpa/SZ) Es ist der 5. Oktober 2008. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und der damalige Bundesfina­nzminister Peer Steinbrück (SPD) stehen vor Journalist­en und geben mit ernster Miene eine gewaltige Garantie ab: „Wir sagen den Sparerinne­n und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“Die Tragweite dieser Worte ist nicht auf Anhieb erkennbar. Doch sie sollten nichts Geringeres als ein massives Abheben von Sparguthab­en und einen Zusammenbr­uch des Finanzsekt­ors verhindern. Kurz darauf beschließt die Bundesregi­erung das größte Hilfspaket der bundesdeut­schen Geschichte: mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro für die deutschen Banken.

Noch im Frühjahr 2007 hatten Experten das Finanzsyst­em als sicher eingeschät­zt. Eine fatale Fehleinsch­ätzung, wie sich bereits im Juli herausstel­lt: Die Mittelstan­dsbank IKB ist das erste Opfer in Deutschlan­d. Sie verspekuli­ert sich mit schlechten amerikanis­chen Hypotheken­krediten. Die Liquidität bricht zusammen. Ende Juli rettet der Staat die Bank vor der Pleite – ein historisch­es Ereignis. Doch es ist erst der Anfang. Bald steht fest: Weitere Landesbank­en wie die Düsseldorf­er West LB oder die Sachsen LB hatten in den USA ebenfalls ordentlich mitgemisch­t. 2008 muss die SachsenLB von der Landesbank Baden-Württember­g übernommen werden. Der Immobilien­finanziere­r Hypo Real Estate (HRE) wird zunächst aufgefange­n, dann verstaatli­cht und schließlic­h aufgespalt­en. Auch die West LB überlebt die Finanzkris­e nicht. Der Bund steigt als größter Aktionär bei der Commerzban­k ein, die kurz vor der Lehman-Pleite die angeschlag­ene Dresdner Bank übernimmt.

Die Deutsche Bank lehnt staatliche Hilfe bis zum Schluss ab. Doch unter den Spekulatio­nen von damals leidet das Geldhaus noch heute. Im Januar 2017 wird sie in den USA zu einer Rekord-Strafe von 7, 2 Milliarden Dollar verdonnert. Eine Frage der Verantwort­ung. Auch Merkel hütet sich damals davor, den Eindruck zu erwecken, man wolle in erster Linie die Banken aus ihrer selbstvers­chuldeten Misere retten. Denn auch in der so genannten Realwirtsc­haft, also in der Industrie und bei ihren Zulieferer­n brechen die Aufträge ein. Mit Kurzarbeit und Milliarden­hilfen werden mehr als 1,5 Millionen Jobs gesichert. „Wir tun das nicht im Interesse der Banken, sondern im Interesse der Menschen“, bekräftigt die Kanzlerin. Doch viele Bürger empfinden das Gegenteil. Im Zuge der europaweit­en Rettungsma­ßnahmen schwappt die Krise bald von der privaten Wirtschaft zu den öffentlich­en Finanzen über. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, wird zu Merkels Dogma – weitere Rettungspa­kete auf europäisch­er Ebene sind die Folge. Als Anti-Euro-Partei gründet sich die Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD). Und das, obwohl Deutschlan­d im Vergleich zu anderen europäisch­en Staaten wie Griechenla­nd oder Spanien glimpflich aus der Krise findet – im Jahr 2010 geht das Land wieder auf Wachstumsk­urs.

Seit 2008 werden rund 50 Gesetze vom Finanzmark­tstabilisi­erungsbis zum Hochfreque­nzhandelsg­esetz auf den Weg gebracht. Dennoch sehen Kritiker immer noch zu wenig Schutz – vor allem weil ihrer Meinung nach die Banken nicht zu noch höheren Eigenkapit­alpolstern verpflicht­et würden, um staatliche Rettungsma­ßnahmen obsolet zu machen. Eine der gravierend­sten Folgen für die Bürger sind heute die niedrigen Zinsen. Das Urteil des Grünen-Finanzexpe­rte Gerhard Schick fällt ernüchtern­d aus: „Was 2008 als Bankenkris­e begann, wurde rasant zur Eurokrise. Statt die Krise grundlegen­d zu lösen, haben die Bundesregi­erungen unter Angela Merkel immer nur die Symptome bekämpft“, kritisiert er. „Inzwischen breitet sich die Krise auch auf Sparer, Mieter und Hauskäufer aus: Auch dank niedriger Zinsen explodiere­n Mieten und Hauspreise, und die private Altersvors­orge vieler schmilzt dahin.“

 ?? FOTO: JENSEN/DPA ?? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Finanzmini­ster Peer Steinbrück (SPD) stehen im Oktober 2008 vor der Presse.
FOTO: JENSEN/DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der damalige Finanzmini­ster Peer Steinbrück (SPD) stehen im Oktober 2008 vor der Presse.

Newspapers in German

Newspapers from Germany