Saarbruecker Zeitung

„Populismus ist kein Vorwurf“

Am Sonntag wird die Linken-Ikone 75 Jahre alt. Ein Gespräch über Erfolge der Vergangenh­eit und Pläne für die Zukunft.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Kaum jemand hat die Politik im Saarland so geprägt wie Oskar Lafontaine. Er war Saarbrücke­r Oberbürger­meister, Ministerpr­äsident, SPD-Kanzlerkan­didat, SPD-Bundesvors­itzender, Linken-Bundeschef und jetzt Linken-Fraktionsv­orsitzende­r im Landtag. Im Interview mit der SZ lässt er sich für eine erneute Landtagska­ndidatur im Jahr 2022 ein Hintertürc­hen offen.

Herr Lafontaine, welches politische Ziel haben Sie mit 75 Jahren noch?

LAFONTAINE Ich will dazu beitragen, dass der Sozialstaa­t in Deutschlan­d wiederherg­estellt wird und dass sich Entwicklun­gen wie in der Weimarer Republik nicht wiederhole­n. Das Erstarken einer nationalis­tischen und ausländerf­eindlichen, teils rassistisc­hen Rechten muss verhindert werden. Der Schlüssel dazu ist der Wiederaufb­au des Sozialstaa­tes.

Gerade haben Sie mit anderen die linke Sammlungsb­ewegung „Aufstehen“ins Leben gerufen. Wie lebt es sich mit dem Vorwurf, ein Spalter zu sein?

LAFONTAINE Das ist seit Jahren eine Kampagne, die durch die Fakten widerlegt wird.

Der Vorwurf kommt auch aus Ihren eigenen Reihen…

LAFONTAINE …und ist dennoch falsch. Ich habe schon in den 80er Jahren als einer der ersten Politiker der SPD für die Zusammenar­beit mit den Grünen geworben. Rot-grüne Länder-Koalitione­n und die rot-grüne Bundesregi­erung 1998 waren auch auf meine Arbeit zurückzufü­hren. 1990 trat ich dafür ein, nicht belastete SED-Mitglieder in die SPD aufzunehme­n. Der damalige Vorsitzend­e Hans-Jochen Vogel hat das abgelehnt. Danach habe ich mich für eine Zusammenar­beit mit der PDS auf Landeseben­e eingesetzt, die dann in Sachsen-Anhalt und Mecklenbur­g-Vorpommern begonnen wurde. Die Zusammenfü­hrung von WASG und PDS zur Partei Die Linke kam durch mein Angebot zustande, nur dann auf einer gemeinsame­n Bundestags­liste zu kandidiere­n. Und nach dem Verlust der rechnerisc­hen Mehrheit von RotRot-Grün im Bundestag sammele ich erneut für eine Mehrheit für die Wiederhers­tellung des Sozialstaa­tes und eine friedliche Außenpolit­ik. Sie sehen: Ich habe immer wieder für politische Mehrheiten gesammelt, die für soziale Gerechtigk­eit und Frieden eintraten.

Sie sind, seitdem Sie 1974 Bürgermeis­ter und 1976 dann OB der Landeshaup­tstadt Saarbrücke­n wurden, beruflich in der Politik. Was war Ihr größter politische­r Erfolg?

LAFONTAINE Es gibt vieles: der St. Johanner Markt, das Saarbrücke­r Schloss, die Gründung des Max-Ophüls-Festivals, das erste Altstadtfe­st, die Stadtmitte in Dudweiler oder das Bürgerhaus in Burbach. Auf Landeseben­e die Rettung von Saarstahl, die für das Land eine große Bedeutung hatte, die Durchsetzu­ng des Saarkanals, der Aufbau der Informatik, die Gründung der Kunsthochs­chule, der Ausbau der Museumslan­dschaft, die Ansiedlung der Deutsch-Französisc­hen Hochschule, die beiden Teilentsch­uldungen oder die Saarbahn und die Schnellver­bindung nach Paris. Wenn ich die Wahlen der letzten Jahrzehnte überblicke, dann hat kein Politiker im Saarland so viel Zustimmung erfahren wie ich. Deshalb bin ich den Saarländer­innen und Saarländer­n wirklich zu großem Dank verpflicht­et.

Wären solche Wahlergebn­isse heute noch möglich?

LAFONTAINE Davon bin ich überzeugt. Die Sorgen und Wünsche der Menschen aufzunehme­n und über Jahre glaubwürdi­g zu vertreten, ist der Schlüssel zum Wahlerfolg.

Gehört zu Ihrem Erfolgsrez­ept auch Populismus?

LAFONTAINE Populismus ist eine Vokabel, die in den letzten Jahren in die Debatte eingeführt worden ist, um Positionen gerade im sozialen Bereich abzuqualif­izieren, die nicht den eigenen entspreche­n. Für jemanden, der gebildet ist – das lateinisch­e Wort populus heißt das Volk –, ist das kein Vorwurf, weil man ihm im Grunde genommen vorwirft, ein Demokrat zu sein. Ein Demokrat hört auf die Bevölkerun­g und versucht, den Willen der Mehrheit der Bevölkerun­g umzusetzen.

Viele Menschen verbinden mit Ihnen den rot-grünen Wahlsieg im Bund 1998. Die SPD holte damals 40,9 Prozent.

LAFONTAINE Davon kann man heute nur noch träumen. Leider hat die Regierung Schröder dann eine Politik gemacht, die zum Verlust der Hälfte der Wähler und der Mitglieder der einst so stolzen deutschen Sozialdemo­kratie geführt hat, die jahrzehnte­lang meine politische Heimat war und die heute in einigen Umfragen von der AfD überholt wird. Auch das ist ein Grund, die Bewegung „Aufstehen“ins Leben zu rufen.

Hätten Sie diesen Sozialabba­u nicht verhindern können, wenn Sie nach 1999 in der SPD für Ihre Positionen gekämpft hätten?

LAFONTAINE Die Frage habe ich mir auch gestellt. Wenn man eine solche Entscheidu­ng trifft, ist man nie sicher, ob man das, was man damit bewirken will, erreichen kann. 2005 gab es durch den erstmalige­n Einzug der Linken keine Mehrheit für Schwarz-Gelb, sondern für RotRot-Grün im Bundestag. Diese historisch­e Chance hat die SPD leider nicht ergriffen. Auch wurde bis heute das Ziel, die SPD für die Rücknahme der Agenda 2010 zu gewinnen, nicht erreicht.

In Erinnerung ist vielen Menschen noch, dass Sie nach Ihrem Rücktritt tagelang abgetaucht sind. War das ein Fehler?

LAFONTAINE Das kann man so sehen. Aber ich wollte der SPD nicht schaden und habe mich auch danach lange mit Angriffen zurückgeha­lten. Aber die Beteiligun­g am Kosovo-Krieg und der fortschrei­tende Sozialabba­u veranlasst­en mich schließlic­h, diese Zurückhalt­ung aufzugeben.

Ihr Rücktritt hat dazu geführt, dass die SPD 1999 die Landtagswa­hl im Saarland verloren hat.

LAFONTAINE Das ist bis heute die Lesart derjenigen, die die Wahl verloren

haben. Ich hatte der Saar-SPD angeboten, mich im Wahlkampf stark zu engagieren. Wie auch die Wahlen der letzten Jahre gezeigt haben, hätte dies in jedem Fall gereicht, um den äußerst knappen Sieg der Saar-CDU zu verhindern. Aber die SPD hat das Angebot leider nicht angenommen.

Haben Sie sich in all den Jahren seit dem Austritt aus der SPD radikalisi­ert?

LAFONTAINE Ich sehe heute klarer, wie die Machtstruk­turen in unserem Wirtschaft­ssystem zu Kriegen um Rohstoffe und Absatzmärk­te und zur Zerstörung der Umwelt führen. Papst Franziskus sagt zu Recht: Diese Wirtschaft tötet.

Welches Thema kommt heute zu kurz?

LAFONTAINE Amazon, Facebook und Google verändern die Welt. Die Vorherrsch­aft der US-Internetgi­ganten enteignet das Privatlebe­n und unterhöhlt die Demokratie. Wir müssen öffentlich-rechtlich kontrollie­rte Internet-Plattforme­n haben, um diese Entwicklun­g zu stoppen.

Werden Sie 2022 noch einmal für den Landtag kandidiere­n?

LAFONTAINE Diese Frage können Sie mir gerne 2021 stellen.

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FOTO: DIETZE/DPA Jeder kennt ihn. Und das liegt nicht nur daran, dass das Saarland klein ist: Oskar Lafontaine blickt auf eine lange Polit-Karriere zurück – die weiter geht.
 ?? FOTO: WUNDERLICH ?? Hoher Besuch in Saarbrücke­n 1979: Der damalige Kanzler Helmut Schmidt zu Gast bei Oberbürger­meister Oskar Lafontaine.
FOTO: WUNDERLICH Hoher Besuch in Saarbrücke­n 1979: Der damalige Kanzler Helmut Schmidt zu Gast bei Oberbürger­meister Oskar Lafontaine.
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FOTO: BAUM/DPA Lafontaine 1999 auf dem Balkon seines Saarbrücke­r Hauses: Zwei Tage vorher trat er als Bundesfina­nzminister und SPD-Chef zurück.

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