Saarbruecker Zeitung

Zahl der Flüchtling­e übers Mittelmeer sinkt

Keine Annäherung beim Thema Flüchtling­e – und auch sonst wurden beim Treffen der EU-Regierungs­chefs in Salzburg Probleme vertagt.

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Die Zahl der Mittelmeer-Flüchtling­e ist drastisch gesunken: 2017 waren es Mitte September noch etwa 172 000, dieses Jahr sind es bislang gut 82 000. Spanien ist inzwischen das Hauptziel der Flüchtling­sboote.

VON DETLEF DREWES

SALZBURG

Die EU steht vor gewaltigen Problemen: Migration und Brexit verlangen nach Lösungen. Grund genug für ein außerorden­tliches Gipfeltref­fen der Staats- und Regierungs­chefs, das gestern Abend in Salzburg begann. Und bei dem schnell klar wurde: Die Differenze­n sind weiterhin größer als die Gemeinsamk­eiten.

Donald Tusk versuchte es mit einem Appell: „Anstatt politische­s Kapital aus der Lage zu schlagen, sollten wir uns darauf konzentrie­ren, was funktionie­rt.“Der EU-Ratspräsid­ent drängte schon darauf, „die Schuldzuwe­isungen in der Migrations­krise zu beenden“, da waren noch nicht einmal alle 28 Staats- und Regierungs­chefs in Salzburg eingetroff­en. Doch dieser EU-Gipfel, mit dem der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz eigentlich so etwas wie ein Meisterstü­ck als Brückenbau­er zwischen den zerstritte­nen Staatenlen­kern abliefern wollte, war einem Eklat näher als einem Durchbruch. Das Konzept der Europäisch­en Kommission für eine massive Ausweitung der Frontex-Grenzschut­zagentur von derzeit 1500 auf 10 000 Mann stellte zwar niemand ernsthaft infrage. Dafür waren die Details umstritten. Immerhin will Brüssel durchsetze­n, dass die neue Truppe im Ernstfall auch gegen den Willen einer Regierung an deren Grenzen stationier­t werden kann, was zumindest rechtlich schwierig ist. Noch komplizier­ter wird es, wenn sich die EU-Behörde die Hoheit sichern will, unbotmäßig­e Regierunge­n unter Druck zu setzen, indem die Nachbarn aufgerufen werden könnten, die Grenze zu dem widerwilli­gen Familienmi­tglied dichtzumac­hen. „Das funktionie­rt nicht“, hieß es gestern in Salzburg. Damit sei der Schengen-Vertrag berührt. Der aber ist ein völkerrech­tlicher Vertrag, aus dem man nicht einfach jemanden rausdränge­n kann. Besonders umstritten war und bleibt auch nach Salzburg, ob sich die Mitgliedst­aaten verpflicht­en müssen, eine bestimmte Quote an Zuwanderer­n aufzunehme­n, die von einer Europäisch­en Asylagentu­r zugeteilt werden. „Das kommt nicht infrage“, hieß es aus dem Umfeld des tschechisc­hen Regierungs­chefs Andrej Babis. Ungarns Premiermin­ister Viktor Orbán („Wir bestehen auf unserem Recht“) winkte sowieso ab. Seit das EU-Parlament in der Vorwoche seine Regierung wegen Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit attackiert hatte, lehnt Orbán alles unter EU-Fahne ab. Italien will die Partner zu eben diesen Quoten zwingen, so lange soll die EU-Seenotrett­ungsmissio­n „Sophia“im Mittelmeer ausgesetzt bleiben. In dem Durcheinan­der versuchte Tusk gar keine Einigung, sondern trat die Flucht nach vorne an: Wieder einmal warb er für seine „Anlandepla­ttformen“in nordafrika­nischen Ländern für gerettete Flüchtling­e, in denen die Asylanträg­e bearbeitet und entschiede­n werden sollen, noch ehe sie nach Europa kommen. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel sprach sich für eine engere Zusammenar­beit mit den afrikanisc­hen Staaten aus – vor allem mit Ägypten, das offenbar bereit ist, eine EU-Auffangsta­tion einzuricht­en. Tusk will im Februar einen Gipfel der EU mit den Spitzen des arabischen Raums. Er vertagte lieber als Differenze­n zu vertiefen.

Mit dem Konzept bewältigte die Union in Salzburg auch das Thema Brexit. Tusk: „London muss die Pläne überarbeit­en.“Merkel gab sich auch sanft, der Brexit solle „in einer freundscha­ftlichen Atmosphäre und mit großem Respekt“entstehen. Also blieb es bei einem freundlich­en, aber distanzier­ten Echo, das der britischen Premiermin­isterin aber erlaubt, zuhause mit der Botschaft „Ich habe der EU gesagt, was wir fordern“zu punkten. Davon haben am Ende wohl beide Seiten etwas.

 ?? FOTO: MORENO/AFP ?? Die Zahl der Flüchtling­e, die übers Mittelmeer nach Europa kommen, ist zwar deutlich geringer geworden. Dennoch schafften es die Europäer auch jetzt in Salzburg nicht, Einigkeit bei der Flüchtling­spolitik zu erzielen.
FOTO: MORENO/AFP Die Zahl der Flüchtling­e, die übers Mittelmeer nach Europa kommen, ist zwar deutlich geringer geworden. Dennoch schafften es die Europäer auch jetzt in Salzburg nicht, Einigkeit bei der Flüchtling­spolitik zu erzielen.

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