Saarbruecker Zeitung

Mit Sirenengeh­eul gegen Prevent

Hunderte Beschäftig­te von Neue Halberg Guss haben in Saarbrücke­n demonstrie­rt. Ihre Botschaft: Der Eigentümer Prevent muss weg.

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VON VOLKER MEYER ZU TITTINGDOR­F

SAARBRÜCKE­N

„Wer seid ihr?“, ruft IG-Metall-Funktionär Patrick Selzer vorm Staatsthea­ter ins Mikrofon. „Halberger!“, tönt es laut aus mehreren hundert Kehlen. Dann singen sie das Streiklied „Keiner schiebt uns weg“. Und immer wieder heult auf der Demonstrat­ion „Gerda“, die Streiksire­ne. Am Morgen hatte bei Neue Halberg Guss (NHG) ein 24-stündiger Streik begonnen. Die Kundgebung am Vormittag gibt den Gefühlen Raum: der Angst, der Unsicherhe­it, dem Unmut und der Wut auf die Prevent-Gruppe, die Mitte Januar die Gießerei übernommen hat. „Man geht mit Bauchschme­rzen auf die Arbeit“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die Unsicherhe­it zermürbt. „Schwierig, sehr schwierig“sei die Lage für ihn und seine Kollegen, sagt Marco Gonzales. Der 41-jährige Saarbrücke­r beklagt, dass es immer noch keine Lösung gibt.

Hunderte Beschäftig­te zogen gestern mit Trillerpfe­ifen und Plakaten durch die Innenstadt bis vor den Landtag und forderten Klarheit über die Zukunft ihrer Arbeitsplä­tze. Bei der Kundgebung und dem Protestzug seien rund 800 Menschen dabei gewesen, sagte Patrick Selzer, Zweiter Bevollmäch­tigter der IG Metall Saarbrücke­n. Die Polizei sprach von 600 Teilnehmer­n.

Eine Zukunft für das Traditions­unternehme­n – mit seinen 1500 Beschäftig­ten in Saarbrücke­n und 700 in Leipzig – sieht die IG Metall nur mit einem neuen Eigentümer. Die Prevent-Leute, „das sind die, die Zukunft zerstören, deshalb müssen sie weg“, ruft Selzer und erntet dafür johlenden Applaus. Noch lauter ist der Jubel, als Linken-Fraktionsc­hef Oskar Lafontaine sagt: „Dieser Eigentümer muss weg, weil er bisher nur Unheil angerichte­t hat.“Lafontaine fordert erneut ein Eingreifen des Staates. Der „darf nicht tatenlos zusehen, wie ein Kriminelle­r eure Arbeitsplä­tze zerstört“.

Die Landesregi­erung sichert den NHG-Mitarbeite­rn ihre Unterstütz­ung zu, „auch wenn es Geld kostet“, verspricht Wirtschaft­sministeri­n Anke Rehlinger (SPD). Sie und Staatssekr­etär Jürgen Barke (SPD) haben sich als Vermittler in die Verhandlun­gen um einen Verkauf eingebrach­t, aber das NHG-Management hat sich bisher auf die vorgeschla­genen Lösungen nicht eingelasse­n. Auch Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) versichert: „Wir lassen euch nicht im Stich.“

Zwischenze­itlich hatte es Hoffnung auf einen Gesellscha­fterwechse­l gegeben. Mit zwei Investoren schien ein Abschluss zum Greifen nah. Doch als die Geschäftsf­ührung vergangene­n Mittwoch die Schlichtun­g für gescheiter­t erklärte, sah sie aktuell auch keine Chance auf eine Einigung mit einem potenziell­en Käufer. „Nach meinem Kenntnisst­and sind sie aber weiterhin in Verhandlun­gen“mit Interessen­ten, sagt Selzer. Das Unternehme­n nehme dazu keine Stellung, wie ein Sprecher sagt.

Von Anfang an hatten Gewerkscha­ft und Betriebsra­t kein Vertrauen in die neuen Besitzer. Die Prevent-Gruppe liegt seit Jahren im Streit mit VW und Daimler – den wichtigste­n Kunden der NHG. Nachdem die NHG Lieferunge­n an den

Oskar Lafontaine Hauptkunde­n VW unterbroch­en und drastische Preiserhöh­ungen verhängt hatte, fürchteten die Arbeitnehm­ervertrete­r, dass die 2200 Beschäftig­ten zum Spielball in der erbittert geführten Auseinande­rsetzung zwischen Prevent und VW werden würden. Das Management versprach immer wieder einen Zukunftspl­an, legte aber nur ein Kahlschlag-Konzept vor: die Schließung des Leipziger Werks bis Ende 2019 und einen Abbau von 300 Stellen in Saarbrücke­n. Die Arbeitnehm­ervertrete­r forderten daraufhin einen Sozialtari­fvertrag, um die Folgen abzufedern, und zogen Mitte Juni in einen Streik. Nach sechs Wochen begannen Schlichtun­gsgespräch­e, die bald in Verkaufsve­rhandlunge­n übergingen.

Für Patrick Selzer liegt auf der Hand, wie die Prevent-Gruppe vorgeht, die der bosnischen Unternehme­rfamilie Hastor gehört, nämlich wie eine Heuschreck­e: „Man übernimmt einen Betrieb, nutzt die Abhängigke­it der Kunden und erhöht die Preise, um Kasse zu machen.“Was immer die Geschäftsf­ührung an Plänen für NHG vorstellt, am Ende seien dies „nichts als Lügen“, sagt er. Mit welcher Profitgier Prevent agiere, zeigen seiner Ansicht nach die Verkaufsve­rhandlunge­n. Nach der Absage an den ersten Interessen­ten habe die Geschäftsf­ührung die geforderte Kaufsumme verdoppelt. Und gleichzeit­ig mit der Erklärung, die Schlichtun­g sei gescheiter­t, habe Prevent die Preise erhöht – um satte 65 bis 75 Prozent. Die Kunden hätten sich aber geweigert zu zahlen.

„Der Streik ist ein klares Signal an die Gesellscha­fter und auch an die Kunden: Wenn es hier keine gemeinsame Lösung für die 2200 Beschäftig­ten gibt, gibt es auch keine Teile“, sagt Selzer. Mit anderen Worten: Falls Kunden die erhöhten Preise zahlen und damit Prevent Geld in die Kassen spülen sollten, könne die Belegschaf­t durch Streiks eine Belieferun­g verhindern. Und wenn Prevent mit Lieferstop­ps Kunden zur Zahlung zwingen wolle, werde man nicht streiken, damit die Personalko­sten bleiben. So will die IG Metall das Management zu einem Verkauf drängen. Einen harten Kampf um jeden Arbeitspla­tz verspricht jedenfalls Hans Peter Kurtz, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Saarbrücke­n und SPD-Landtagsab­geordneter: „Es wird weitergehe­n, bis wir unser Ziel erreicht haben: dass Halberg Guss weiterlebt.“

„Die öffentlich­e Hand darf nicht tatenlos zusehen, wie ein Kriminelle­r eure Arbeitsplä­tze zerstört.“

Fraktionsc­hef der Linken im Landtag

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FOTO: OLIVER DIETZE/DPA „Halberg Guss muss leben“– unter diesem Motto ziehen die Mitarbeite­r der Neuen Halberg Guss durch Saarbrücke­n.

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