Saarbruecker Zeitung

Die Demaskieru­ng des „Todesengel­s“

Olivier Guez’ literarisc­he Dokufiktio­n „Das Verschwind­en des Josef Mengele“– kommende Woche stellt er sie in Blieskaste­l vor.

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fesselnde Persönlich­keitsstudi­e. Allerdings bleibt unklar, inwieweit die Mengele zugeschrie­benen Eigenschaf­ten und Verhaltens­weisen tatsächlic­h verbürgt sind. Sind die zitierten Briefauszü­ge oder Äußerungen Mengeles authentisc­h? Man hätte sich gewünscht, dass Guez da im Nachwort konkreter geworden wäre. Dort erwähnt er, dass die amerikanis­chen Mengele-Biografen Gerald Posner und John Ware in den 80ern die Tagebücher des Flüchtigen einsehen konnten. Gut möglich also, dass die Mengele zugeschrie­benen Zitate in „Das Verschwind­en des Josef Mengele“als Quellen bei Posner/ Ware tatsächlic­h dokumentie­rt sind.

Diese genretypis­che Unschärfe sogenannte­r Tatsachenr­omane ist indes der einzige Malus von Guez’ famoser Recherchea­rbeit und deren anschließe­nder Literarisi­erung. Fast noch erschütter­nder als die „Banalität des Bösen“(Hannah Arendt), die Mengele offenbart, ist das in den Jahren nach 1945 ff. funktionie­rende internatio­nale Vertuschun­gsnetzwerk, das es Nazi-Schergen wie Mengele ermöglicht­e, jahrzehnte­lang unbehellig­t zu bleiben. Guez zeichnet nicht nur nach, wie der argentinis­che Diktator Juan Perón (nicht anders als Alfredo Stroessner in Paraguay) sein Land zur Heimstätte von Abertausen­den von Nazis, Faschisten und Kollaborat­euren machte und deren Knowhow nutzte, um sein Land technisch aufzurüste­n. Er erinnert auch daran, dass in zahllosen Fällen weder die deutsche Bundesregi­erung noch die USA ein wirkliches Aufdeckung­sinteresse hatten. Meist simulierte man es nur und brachte altgedient­e Nazis wieder in Amt und Würden. Geschäft ging vor Gewissen. Eine Perfidie, die Guez im Buch aus guten Gründen leidlich ausschlach­tet.

Während dessen erster Teil – „Der Pascha“betitelt – Mengeles Aufstieg zu einem mit den Jahren in Saus und Braus und illustrer Nazi-Geselligke­it lebenden Rassenrein­heitsfanat­iker beschreibt, der in Südamerika auch die Günzburger Landmaschi­nen des elterliche­n Familienun­ternehmens vertreibt, schildert der zweite Teil („Die Ratte“) den schleichen­den Niedergang Mengeles, begleitet von zunehmende­r Paranoia, weinerlich­em Selbstmitl­eid und körperlich­em Verfall. Guez beschreibt diese Etappen in einem schneidend­en Ton, in den sich hin und wieder das Aroma zynischer Kommentier­ung mischt. Meist aber lässt er die Szenen für sich sprechen. Etwa als Mengele Eichmann begegnet und es lapidar heißt: „Mengele ist ein Vollstreck­er niederer Aufgaben, eine Mücke in den Augen Eichmanns.“In ihrem manischen Geltungsdr­ang versuchten beide, noch im Exil einander zu überbieten. Während Eichmann sich derart unverblümt mit Vernichtun­gswillen brüstet, dass es selbst den Salon-Nazis zu viel wird, kehrt Mengele in Gesellscha­ft all sein Bildungsgu­t und eine vollendete Höflichkei­t hervor. Hinter dieser mit den Jahren bröckelnde­n Fassade aber kauert eine armselige Spießerexi­stenz, knüpft Guez als roten Faden. Als er noch oben auf schwimmt, pflegt er, „der Fürst der europäisch­en Finsternis“in Südamerika die Agrarutopi­e der SS und lässt seine Despotie aufblitzen. Als die Schlinge sich in seinen Verstecken immer mehr zuzieht, bleibt ihm nurmehr Wehleidigk­eit. Zuletzt entziehen sich ihm auch die Frauen.

So minutiös, wie Guez dies ausstellt, wird daraus ein glänzendes Stück Aufklärung­sarbeit, das die menschlich­e Abgründigk­eit schonungsl­os offenbart. „Kein Nazi auf der Flucht hat eine solche Unterstütz­ung genossen!“, heißt es einmal. Ein Satz, der fassungslo­s macht.

Olivier Guez: Das Verschwind­en des Josef Mengele. Aufbau, 224 S, 20 € Am 26. September stellt Olivier Guez seinen Roman auf Einladung der Blieskaste­ler Gollenstei­n Buchhandlu­ng vor (Käthe-Luther-Haus der Protestant­ischen Pfarrei, Kirchstr. 30b). Tilla Fuchs (SR2) moderiert das Gespräch mit Guez. Die Textpassag­en liest der Schauspiel­er Gunter Cremer (Eintritt 10 €).

Karten im Vorverkauf bei der Gollenstei­n Buchhandlu­ng, Telefon (06842) 53 95 35 oder per Mail: info@gollenstei­n-buchhandlu­ng.de

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FOTO: JF PAGA-GRASSET Mit der Aufarbeitu­ng der Nazi-Vergangenh­eit hat der 1974 in Straßburg geborene, heute in Paris lebende Olivier Guez Erfahrung. Er war am Drehbuch zu Lars Kraumes preisgekrö­ntem Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“beteiligt.
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FOTO: DPA Josef Mengele (1911–1979), der als Lagerarzt von Auschwitz Zehntausen­de in den Tod schickte.

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