Saarbruecker Zeitung

Schönheit, aus Natürlichk­eit erwachsen

Paula Modersohn-Becker steht im Mittelpunk­t einer biografisc­h angelegten Ausstellun­g im Wuppertale­r Von-derHeydt-Museum. Vielen gilt sie als Vorläuferi­n der Frauenbewe­gung.

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setzte, dass sie mehrmals auf eigene Faust nach Paris reiste und ihren Mann verließ – und wieder umarmte. Ein Jahr vor ihrem Tod zeigt sie sich brav mit weißer Perlenkett­e. Anderersei­ts setzte sie sich auch als Akt in Szene, worüber man damals die Nase rümpfte. Eine anständige Frau machte so etwas nicht.

Der Rundgang führt an den Lebensstat­ionen der Malerin vorbei, auch an Werken von Künstlern, die für sie wichtig wurden. Fritz Mackensen zählt dazu, der ihr in Worpswede Zeichenunt­erricht gab und das Dorf am Teufelsmoo­r mit einstigen Kommiliton­en zum Künstlerdo­rf erhob. Paulas späterer Ehemann Otto Modersohn, Heinrich Vogeler und Fritz Overbeck gehörten dem Kreis ebenfalls an. Modersohn-Becker studierte dort Landschaft­en und Menschen, destillier­te daraus Bilder in erdigen Farben, grobkörnig­e, ruhige Ansichten einer Welt abseits allen Getriebes. Schon früh revolution­ierte sie dabei das Bildnis der Frau in der Malerei. Ihre Frauen sind nicht durch den männlichen Blick bestimmt, ihre Schönheit erwächst allein aus Natürlichk­eit. Bildwürdig ist ihr auch jene „Frau mit roter Bluse“, deren überlange Nase im Profil erst richtig herausstic­ht. Auch ein „Sitzendes Bauernmädc­hen“durchkreuz­t die Ideale der Männer. Gerade anhand der Porträts lässt sich gut verfolgen, wie die Malerin sich vom Spätimpres­sionismus abkehrte und ihre Gesichter ins Massige, Flächige, Helle wandte. Das „Mädchen mit Kaninchen“wirkt mit seinem riesigen Kopf und seinen Pranken fast monströs.

Ein eher untypische­s Bild, drei Jahre vor dem Tod entstanden, zeigt unter dem Titel „Schützenfe­st in Worpswede“vor einer hellen, diagonal gestreifte­n Wand dunkle Gestalten mit Gesichtern, die jeweils nur aus einer runden braunen Farbfläche bestehen – anonyme Figuren, wie sie damals in die Kunst des 20. Jahrhunder­t Einzug hielten. Modersohn-Becker hatte sich wiederholt in Paris anregen lassen, von Cézannes, van Gogh und von Rodin, dem sie persönlich begegnete. Rainer Maria Rilke, der Lyriker, hatte ihr dieses Treffen vermittelt, der Ehemann der Malerin und Bildhaueri­n Clara Rilke-Westhoff, die wiederum Modersohn-Becker in Worpswede kennengele­rnt hatte und mit der sie eng befreundet war.

Verse und Briefe von und an Rilke ziehen sich durch die gesamte Ausstellun­g. Erst spät, so erfährt man auf den Wandtexten, bei ihrem letzten Aufenthalt in Paris, lernte Rilke Paula Modersohn-Becker auch als Künstlerin schätzen. Ein Jahr vor ihrem Tod schrieb sie an Rilke: „Und nun weiß ich gar nicht, wie ich unterschre­iben soll. Ich bin nicht Modersohn, und ich bin auch nicht mehr Paula Becker. Ich bin Ich, und hoffe, es immer mehr zu werden. Das ist wohl das Endziel von allem unseren Ringen.“Von ihrem Mann hatte sie sich da schon getrennt – und war dann doch wieder nach Worpswede zurückgeke­hrt, war mit ihm durch Frankreich gereist und abermals nach Hause gefahren. Endlich war sie schwanger geworden. Sie brachte ihre Tochter Mathilde zur Welt, dann hatte sich ihr Leben erfüllt. Gemalt hatte sie nur zehn Jahre lang und allein für sich. Denn zu Lebzeiten wurde kein einziges Bild verkauft.

Bis 6. Januar. Di bis So: 11 bis 18 Uhr, Do: 11 bis 20 Uhr.

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FOTOS: VON-DER-HEYDT-MUSEUM „Mädchenbil­dnis mit gespreizte­r Hand vor der Brust “(1905) von Paula Modersohn-Becker (1876-1907).
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Modersohn-Beckers „Alte Armenhäusl­erin“, ebenfalls 1905 entstanden.

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