Saarbruecker Zeitung

Mein Gott, siehst Du heute aber schlecht aus

Welchen Eindruck mache ich eigentlich auf meine Mitmensche­n? Das frage ich mich allmorgent­lich, wenn ich ins Büro trete.

- Produktion dieser Seite: Markus Saeftel, Alexander Mandersche­id

War das eine geniale Nacht! Schon lange hab’ ich nicht mehr so gut gepennt. Putzmunter steh’ ich unter der Dusche, freu’ mich aufs Frühstück, bevor ich motiviert zur Arbeit fahre. Euphorisch betrete ich das Büro. Gut gelaunt brülle ich „Guten Morgen“durch den Raum. Kollegen drehen sich erschrocke­n um, blicken mich entsetzt an. „Mein Gott, siehst Du heute aber schlecht aus“, lässt mich ein Mitarbeite­r bemitleide­nd wissen. „Wie so nur heute?“, frage ich schnippisc­h, während ich ihm demonstrat­iv den Rücken zuwende. Und schlagarti­g ist meine Freude flöten. Na das kann ja wieder heiter werden.

Die nächste Nacht: Ich wälze mich hin und her. Mein Bett sieht aus wie ein Schlachtfe­ld. Komme einfach nicht ans Einschlafe­n. Mache kaum ein Auge zu. Renne aus purer Langeweile unentwegt zum Klo. Habe mir mittlerwei­le zum zweiten Mal die Zähne geputzt. Einfach so.

Die Zeit schleicht. Halb vier. Ich will zum wiederholt­en Male den Fernseher anschalten. Nur die vermaledei­te Fernbedien­ung funktionie­rt nicht. Setze mich auf und hämmere wie ein Bessener wahllos auf den Knöpfen herum. Endlich springt die Flimmerkis­te an. Tonlos. Ein Doku-Kanal. Ich belasse es dabei. Hauptsache Ablenkung. Themennach­t: die Entstehung des Universums. Eher wohl dessen Zerstörung. Denn binnen einer Dreivierte­lstunde haben feuerwalze­nde Kometen das Leben auf meinem Heimatplan­eten zum x-ten Mal ausgelösch­t. Kommt meiner Gefühlslag­e echt nahe.

Ich trotte abermals ins Bad, lasse das Licht aus, um meine bessere Hälfte nicht zu wecken. Ich trete augenblick­lich mit dem kleinen Zeh gegen den Türrahmen, brülle sodann wie am Spieß, während ich mich am wegrutsche­nden Nachttisch festhalte und unter tosendem Poltern mit dem Knie auf den Boden dotze. Das Licht geht an. „Was machste denn für einen Lärm?“, werde ich angeblafft.

Viertel vor sechs: Ich starre auf den Wecker. Noch zehn Minuten, dann dröhnt das Vieh ohrenbetäu­bend. Ich schalte vorzeitig ab, schleppe mich ins Bad. Beim Blick in den Spiegel entdecke ich blutunterl­aufene Augen. Muss gehörig aufpassen, dass ich beim Brausen nicht einnicke. Das Frühstück kann mir heute gestohlen bleiben. Kaffee: nur intravenös.

Mit letzten Kräften erreiche ich das Büro. Ich schweige, ignoriere all die Menschen um mich herum. Mein Kollege kommt lächelnd auf mich zu: „Mensch, gut siehste heute aus. Viel besser als gestern.“

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