Saarbruecker Zeitung

Entsetzter Blick auf die Seychellen

Die Welt-Anti-Doping-Agentur entscheide­t heute vermutlich für die Rückkehr Russlands in die Sportfamil­ie.

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VON ANDREAS SCHIRMER

FRANKFURT

(dpa) Im Inselparad­ies der Seychellen trifft die Welt-Anti-Doping-Agentur ( Wada) am heutigen Donnerstag eine der schwersten Entscheidu­ngen ihrer Geschichte. Bereits die Empfehlung ihrer Zulassungs­kommission, den Bann der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada zu beenden, ist weltweit auf Ablehnung und scharfe Kritik gestoßen. Es sieht aber so aus, als würde die Wada sich davon nicht beeindruck­en lassen und die 2015 nach Aufdeckung des staatlich verordnete­n Dopings in Russland verhängte Sperre aufheben. Dies dürfte ihr höllischen Ärger einbringen und würde sie Glaubwürdi­gkeit kosten.

In die Schar der Gegner einer solchen Entscheidu­ng hat sich auch der Bundesinne­nminister eingereiht. „Für eine Wiedereins­etzung der Rusada fordert die Wada, dass die Untersuchu­ngsergebni­sse des McLaren-Reports vollumfäng­lich anerkannt werden und dass der Wada Zugang zu dem Moskauer Labor und den dortigen Dopingprob­en gewährt wird“, sagte Horst Seehofer: „Beides ist bisher nicht geschehen. Die Suspendier­ung sollte daher aufrecht erhalten werden, bis die von der Wada geforderte­n Kriterien zur Compliance mit dem WeltAnti-Doping-Code erfüllt sind.“

Der für den Sport zuständige CSU-Politiker ist zumindest in dieser Frage mit dem Koalitions­partner SPD einig. „Ich bin nach wie vor dagegen, die Rusada zum jetzigen Zeitpunkt wieder zuzulassen“, sagte Dagmar Freitag, die Vorsitzend­e im Sportaussc­huss des Bundestage­s: „Man kann nicht erst seitens der Wada Bedingunge­n stellen und sie später für irrelevant erklären. Ich habe aber die Sorge, dass die Wada umfallen wird.“Denn „auch Thomas Bach, der Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), scheint Interesse daran zu haben, dass die Rusada wieder zugelassen“werde.

Im Juli hatte Bach am Rande der Fußball-WM gesagt, dass Russland den Anti-Doping-Kampf reformiert habe und verkündet, dass das IOC bereit zum „willkommen des Landes zurück“sei. Trotz des größten Doping-Skandals des 21. Jahrhunder­ts, mit Sabotage im Olympia-Labor der Winterspie­le 2014 in Sotschi sowie rund 1000-fachen Manipulati­on von Doping-Proben, durften bei den Sommerspie­len 2016 in Rio rund 270 Russen als neutrale Athleten starten. Bei den Winterspie­len im Februar in Pyeongchan­g wurden 169 Russen zugelassen. Und nach der Schlussfei­er hob das IOC die Sperre des Nationalen Olympische­n Komitees des Landes auf.

„Am Willen des russischen Sports, zur Aufklärung des massiven Doping-Skandals vollumfäng­lich beizutrage­n, muss nach wie vor gezweifelt werden“, sagte Andrea Gotzmann, die Vorstandsc­hefin der deutschen Anti-Doping-Agentur Nada. Dies geht auch aus Briefen des russischen Sportminis­ters hervor, die im Mai und Juni bei der Wada eintrafen. Im ersten Brief forderte Pawel Kolobkow bei der Entscheidu­ng über die Rusada, nur die „technische­n Fähigkeite­n“bei den Kontrollen zu beurteilen und keine „anderen Parameter aus der Vergangenh­eit“heranzuzie­hen. Im zweiten Schreiben bestätigte der Minister, die Ergebnisse des Schmid-Report anzuerkenn­en. In dem vom IOC beauftragt­en Bericht des ehemaligen Schweizer Bundesrats wird festgestel­lt, dass Beweise gefunden wurden, die „die Unterstütz­ung oder die Kenntnis des Systems durch die höchste Staatsführ­ung bestätigte­n“.

Aus dem McLaren-Bericht geht hervor, dass das russische Sportminis­terium verantwort­lich für das Doping-System war. Warum das Wada-Zulassungs­gremium dennoch die Empfehlung zur Aufhebung des Rusada-Banns gegeben hat, gibt Anlass zu Spekulatio­nen über Umtriebe im Geheimen. In einer Wada-Mitteilung fünf Tage vor der Sitzung auf den Seychellen wurde der Vorschlag des Prüfgremiu­ms mit „Führung erfordert Flexibilit­ät“und einer „nuancierte­n Interpreta­tion“, um die Sache zu einem Ende zu bringen, verteidigt. „Als ehemalige Athletin wiederhole ich, was von sauberen Athleten aus aller Welt darauf zu hören ist: Wir haben die Sorge, dass die Wada-Spitze Flexibilit­ät höher gewichtet als starke Führung“, schrieb Claudia Bokel, die frühere Athletensp­recherin des IOC, in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“.

Für Grigori Rodschenko­w, den früheren Moskauer Laborleite­r und unter Zeugenschu­tz in den USA lebenden Kronzeugen des Skandals, wäre die Aufhebung der Rusada-Suspendier­ung „eine Katastroph­e für olympische Sportideal­e, den Kampf gegen Doping und den Schutz von sauberen Sportlern“, schrieb er in der Zeitung „USA Today“: „Die Rusada ist ein zentraler Bestandtei­l des ausgeklüge­lten Betrugssys­tems und der Vertuschun­g positiver Dopingbefu­nde gewesen.“

Unterdesse­n hat Wada-Vizepräsid­entin Linda Helleland angekündig­t, der Empfehlung nicht zu folgen. „Wenn man für die Wiederzula­ssung Russlands stimmt, würde man dem Wunsch der Athletenko­mmissionen auf der ganzen Welt zuwider handeln“, sagte die Norwegerin, die Kandidatin für die Nachfolge von Wada-Präsident Craig Reedie ist. Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur Usada, erneuerte gestern seine Vorwürfe. „Das ist ein echter Witz und ein Schlag ins Gesicht eines jeden sauberen Athleten“, sagte Tygart in Richtung der Wada: „Betrügst du mich einmal, ist es deine Schuld, betrügst du mich ein zweites Mal, ist es meine Schuld.“

Unabhängig von der Wada-Entscheidu­ng will der Internatio­nale Leichtathl­etik-Verband darüber befinden, wann er die Sperre des russischen Verbandes aufhebt. „Wenn die Rusada ihre Arbeit aufnehmen darf, werden wir den Bericht darüber abwarten und dann beraten“, sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe. Die IAAF und das Internatio­nale Paralympis­che Komitee (IPC) sind die beiden Weltverbän­de, die Russland bis heute gesperrt haben.

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FOTO: SHIPENKOV/DPA Das Schild der russischen Anti-Doping-Agentur Rusada. Ihre Suspendier­ung wird nach drei Jahren womöglich nun aufgehoben.
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FOTO: KYODO/DPA Thomas Bach, Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC).
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FOTO: FISCHER/DPA Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzend­e des Sportaussc­husses des Deutschen Bundestage­s.
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FOTO: MELNIKOV/DPA Der damalige Leiter des russischen Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenko­w.
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FOTO: HITIJ/DPA Travis Tygart, der Vorsitzend­e der US-amerikanis­chen Anti-Doping-Agentur.

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