Saarbruecker Zeitung

Wie Esch zur Musterstad­t in Luxemburg wurde

Das luxemburgi­sche Esch lebte einst von der Stahlprodu­ktion. Mittlerwei­le prägen aber futuristis­che Bauten das Bild der Stadt, die als Musterbeis­piel für Integratio­n gilt und 2022 Kulturhaup­tstadt Europas sein wird.

- VON KATHARINA DE MOS Produktion dieser Seite: Christine Kloth Oliver Schwambach

Sie ist keine Schönheit, diese Stadt. Mehr Eisenerz als Diamant. Und doch ist sie ein Ort zum Staunen. Früher war das luxemburgi­sche Esch-sur-Alzette ein Zentrum der Stahlprodu­ktion, heute ist es ein Schmelztie­gel der Kulturen. Eine Stadt, die sich nach dem Niedergang der Schwerindu­strie neu erfindet und deren Bemühungen um ein multikultu­relles Miteinande­r im Herzen Europas nun sogar mehrfach gewürdigt werden: 2022 wird Esch mit einigen umliegende­n luxemburgi­schen und französisc­hen Gemeinden zur Kulturhaup­tstadt Europas. Und dieser Tage hat Norbert Lammert, Vorsitzend­er der Konrad-Adenauer-Stiftung, der ehemaligen Bergbaukom­mune die Auszeichnu­ng „Integrativ­e Stadt“verliehen.

Würde jemand in diese Stadt gebeamt, ohne zu wissen, in welchem Land er gelandet ist, stünde er wohl vor einem Rätsel. Die Menschen sprechen Portugiesi­sch, Italienisc­h, Französisc­h, Polnisch – und wenn man lange genug wartet, auch eine Sprache, die an Deutsch erinnert. „Kann das Luxemburg sein?“, würde man sich vielleicht fragen. Aber: Wo ist hier das typisch luxemburgi­sch Geleckte? Mitten in der Einkaufsme­ile stapelt sich der Müll. Und wo ist der Geruch des Geldes? Nur eines wäre sicher: Diese Multikulti-Stadt liegt in Europa. „Esch-sur-Alzette gilt mit seinem hohen Ausländera­nteil als positives Beispiel für gelungene Integratio­n“, heißt es jetzt in der Begründung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Mehr als 55 Prozent der Escher sind nämlich Ausländer. Unter ihnen viele Portugiese­n und Italiener, die einst als Stahlarbei­ter herkamen.

Zwei Italieneri­nnen, Mutter und Tochter, schlendern die längste Fußgängerz­one des Großherzog­tums entlang. Fragt man sie nach Esch, dann schwärmen sie davon, wie gut es sich dort leben lässt: Der Staat biete eine tolle Gesundheit­svorsorge, und die Stadt halte alles vor, was man brauche. Und die Integratio­n? Man finde immer jemanden, der Italienisc­h spricht, sagen die Frauen. Mit Franzosen und Portugiese­n sei es leicht in Kontakt zu kommen. Nur die Luxemburge­r seien reserviert­er. Auch die aus Portugal stammende Verkäuferi­n Sandra Almeida lebt gerne in Esch. „Es gibt aber auch Rassismus“, sagt sie. So habe ihr kürzlich eine luxemburgi­sche Kundin vorgeworfe­n: „Sie sprechen kein Luxemburgi­sch und nehmen uns die Jobs weg.“

Ein paar Geschäfte weiter steht die elegant gekleidete Elisabeth Renard in der Tür einer Modeboutiq­ue und begrüßt Kundinnen. Seit 20 Jahren lebt die Französin in Esch, ihr Freundeskr­eis ist so internatio­nal wie der Ort selbst. „Am Anfang war es ein bisschen schwierig mit der Integratio­n“, erzählt sie. Denn anfangs konnte sie „nur“Deutsch, Englisch und Französisc­h, aber kein Luxemburgi­sch. Die Luxemburge­r sprechen zwar all diese Sprachen. „Aber sie wollen nicht immer“, sagt Renard – und das bestätigen kurz darauf auch zwei waschechte Luxemburge­rinnen. „Wir sind hier in der Minderheit“, sagt Marianne Regnery und lacht. Sie und Leonie Lallemang leben gerne in Esch, nur vier Kilometer von der französisc­hen Grenze entfernt. Allerdings stört es sie, überall Französisc­h sprechen zu müssen. Und die junge Generation stelle sich sogar sprachlich öfters ganz auf stur. Tatsächlic­h hat auch Marc Putz, ein junger Mann, der unweit des Cafés Smartphone­s verkauft, nach Feierabend manchmal keine Lust mehr auf andere Sprachen. Seine Freundin sei Polin, viele Bekannte Portugiese­n und Italiener. Man wachse einfach in einer Mischkultu­r auf.

„Wir behaupten, dass die Zukunft Europas in der denkbar radikalste­n Vermischun­g seiner Kulturen liegt“, heißt es auf der Webseite der Kulturhaup­tstadt 2022. Esch habe mit seiner Kandidatur bewusst eine Gegenposit­ion zu Fremdenhas­s, Abgrenzung und Nationalis­mus gesetzt. Und nichts symbolisie­rt das mehr als die Luxemburge­r Universitä­t. Alles an diesem Ort lässt staunen. Die riesigen, rostigen Hochöfen, die mit ihren Winderhitz­ern, Förderbänd­ern und Schornstei­nen wie archaische Skulpturen in den Himmel ragen. Ebenso aber die futuristis­chen Gebäude der Uni, die einfach zwischen Kokslager, Gießhalle und sonstigen Überresten der Hütte errichtet wurden. Wo einst glühender Stahl gewalzt wurde, lernen nun Studenten. Denn nach der Stahlkrise begann in Esch die Wandlung vom Industrie- zum Wissenssta­ndort: Das neue Stadtviert­el Belval, wo auch die junge Universitä­t liegt, zählt laut Konrad-Adenauer-Stiftung zu den „ambitionie­rtesten städtebaul­ichen Entwicklun­gsvorhaben in Europa“.

Johannes Heuschkel (22) und Marina Sonntag (21) sind aus Heidelberg und München nach Belval gekommen, um Psychologi­e zu studieren. Sie sind rundum zufrieden. Nur 55 Kommiliton­en sind in Heuschkels Jahrgang, die Betreuung sei hervorrage­nd, und beiden gefällt, dass die Ausbildung in Deutsch, Französisc­h und Englisch läuft. Selbst das Wohnen sei gar nicht so teuer. 305 Euro zahlt Heuschkel für sein Studentenz­immer (inklusive Putzfrau). Begeistert ist Sonntag auch von der neuen Bibliothek. Und damit ist sie nicht alleine. „Wat is dat scheng!“, sagt eine Studentin beeindruck­t beim Blick ins „Luxemburg Learning Center“, das heute eingeweiht wird. Ein Bau wie eine futuristis­che Fantasie. So als hätte man dem Architekte­n (Architektu­rbüro Valentiny HVP) gesagt: „Stell dir vor, du hast eine alte Fabrikhall­e und unendlich viel Geld. Zaubere uns die Bibliothek der Zukunft!“Und da steht sie. Die alte Möllerei, in der einst Koks und Erz vermischt wurden, ist verkleidet von einer Fassade aus dreieckige­n Glaselemen­ten. In der entkernten Halle schweben nun elliptisch­e Plattforme­n voll beleuchtet­er Bücherwänd­e auf dünnen Säulen. 1000 Arbeitsplä­tze bietet die Bibliothek, die mit ihren Couchgrupp­en mit fest installier­ten Tabletcomp­utern und Fernsehern zum Bleiben einlädt. Doch im Glas ihrer Fassade spiegeln sich auch die Hochöfen: Esch konservier­t auch gekonnt seine Geschichte.

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FOTOS: KATHARINA DE MOS Früher hieß sowas Bibliothek, nun nennt man’s Learning Center. Heute wird dieser Neubau der Luxemburge­r Uni eröffnet.
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Eine Reihe moderner Bauten prägt mittlerwei­le das Stadtbild von Esch. Über die weiße Fußgängerb­rücke gelangt man in einen Park.

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