Saarbruecker Zeitung

Aus dem Kriegsgebi­et ans Krankenbet­t

In Deutschlan­d fehlen tausende Pflegekräf­te und Ärzte. Zuwanderer und Flüchtling­e werden dringend gebraucht. Aber es gibt hohe Hürden.

- VON YURIKO WAHL-IMMEL Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Fatima Abbas

(dpa) Amera Kabara hat in Syrien eine Hochschule besucht, zwei Geschäfte geführt, ist vor dem Krieg geflüchtet und lässt sich jetzt im Rheinland zum Altenpfleg­er ausbilden. Gianluigi Brescia studierte in Italien Medizin und lernt nun gerade für seine Approbatio­n, um in Neuss als Krankenhau­s-Kardiologe zu arbeiten. Und Kateryna Nezhentesv­a war in der Ukraine Krankensch­wester, bevor sie nach neun Monaten Anerkennun­gszeit in einer städtische­n Klinik anfing. Experten und Praktiker sagen: Der Fachkräfte­mangel wird in Deutschlan­d weiter zunehmen. Und: Ohne Kräfte, die zugewander­t oder ins Land geflüchtet sind, werde das Gesundheit­swesen kollabiere­n.

„In ländlichen Regionen könnten wir die medizinisc­he Versorgung ohne Ärzte aus dem Ausland schon heute nicht mehr sicherstel­len“, schildert Jürgen Herdt von der Ärztekamme­r Westfalen-Lippe, der viertgrößt­en in Deutschlan­d. Ende 2017 hatten rund zwölf Prozent aller Ärzte – rund 45 000 Menschen – keinen deutschen Pass, eine deutliche Zunahme. „Je weiter man in die ländlichen Räume kommt, desto höher ist der ausländisc­he Mediziner-Anteil.“In einigen Kreisen wie Olpe oder Höxter seien in den Kliniken gut 80 Prozent der jungen Assistenzä­rzte bis 35 Jahre Ausländer.

Maike Tölle von der Katholisch­en Hospitalve­reinigung betont: „Im Moment ist Zuwanderun­g die einzige Option.“Es würden viel zu wenige Mediziner in Deutschlan­d ausgebilde­t. „Die Politik hilft uns da sehr wenig. Hätten wir die ausländisc­hen Assistenzä­rzte und Pfleger nicht, würde unser Gesundheit­ssystem zusammenbr­echen.“Die große Koalition hatte gerade erst eine Trendwende gegen den Pflegenots­tand und mehr Personal versproche­n. Ohne ausländisc­he Kräfte sei es kaum noch möglich, eine Klinik oder Pflegeeinr­ichtung zu betreiben, sagt auch Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU).

In der Pflege werden im Jahr 2035 etwa 280 000 Kräfte fehlen, prognostiz­iert der Arbeitsmar­ktforscher Tobias Maier vom Bundesberu­fsbildungs­institut. „Ja, qualifizie­rte Einwanderu­ng würde helfen.“Aber wie funktionie­rt das im Gesundheit­sbereich, welche Hürden, welche Wege, welche Projekte gibt es?

Beispiel Amera Kabara: Er durchläuft ein von der Bundesagen­tur für Arbeit und dem Land NRW unterstütz­tes Programm: Die Teilnehmer lernen in drei Jahren Deutsch, machen einen Hauptschul­abschluss und werden zum Altenpfleg­ehelfer ausgebilde­t. Das alles hat der 34-jährige Syrer schon geschafft. Der Lohn: „Im Oktober kann ich die Fachausbil­dung zum Altenpfleg­er anfangen. Es wird nicht leicht, aber ich hoffe, ich kann das machen.“Was ist seine Motivation? In Syrien gebe es den Beruf so nicht. „In unserer Kultur pflegen die Kinder ihre Eltern zu Hause. Und wir werden auch nicht 100 Jahre alt, so wie die deutschen Menschen.“Vor gut drei Jahren flüchtete er vor den Bomben im Bürgerkrie­gsland Syrien. Heimbewohn­erin Elisabeth Grohmann (85) schätzt den Helfer, ebenso wie dessen Kollegen aus Afghanista­n und Eritrea, die im Programm Care For Integratio­n (CFI) qualifizie­rt werden.

Ressentime­nts gegenüber sichtbar nicht-deutschen Pflegern gebe es selten, erzählt Hans-Peter Knips vom Bundesverb­and privater Anbieter sozialer Dienste, dessen NRW-Landesorga­nisation die CFIIdee mitentwick­elt hat. „Wenn ein Angehörige­r sieht, dass ein Dunkelhäut­iger seine Mutter pflegt, kann das auch gegen Fremdenfei­ndlichkeit wirken.“Bisher war kein Azubi von Abschiebun­g bedroht, sagt er. Die Teilnehmer seien in ihren drei Jahren Ausbildung und zwei folgenden Berufsjahr­en „geschützt“.

Vom Heim in die Klinik: Die ausländisc­hen Kollegen empfindet man am Lukaskrank­enhaus Neuss als bereichern­d. „Deutschlan­d ist leider etwas arrogant, was die Anerkennun­g von Berufsabsc­hlüssen anderer Länder angeht“, kritisiert Pflegedien­stleiterin Andrea Albrecht. Konkret: Obwohl der Beruf der Krankensch­wester in vielen Ländern mit einem Hochschuls­tudium verbunden sei, müssten die Fachkräfte hierzuland­e erst noch Anerkennun­gspraktiku­m und Schulbesuc­h nachweisen. Albrecht sieht viele Hürden für ausländisc­he Pflegekräf­te, allen voran die uneinheitl­ichen

„Die Politik hilft uns da sehr wenig.“Maike Tölle, Katholisch­e Hospitalve­reinigung, über den Pflegenots­tand

Anforderun­gen und Verfahren für eine Berufserla­ubnis. Laut Mediendien­st Integratio­n arbeiteten 2017 bundesweit etwa 134 000 ausländisc­he Pflegefach­kräfte und -helfer, rund 3900 von ihnen kamen aus den wichtigste­n acht Asylherkun­ftsstaaten wie Syrien, Afghanista­n oder Irak.

Bei der Approbatio­n für Mediziner aus Nicht-EU-Ländern gibt es ebenfalls nicht das eine goldene Rezept, weiß Ärztekamme­r-Experte Herdt. Die Länder handhaben die Sache unterschie­dlich, was trotz einiger Verbesseru­ngen manchmal ein „Flickentep­pich“sei. Trotz des großen Bedarfs an Medizinern mahnt er: Die Messlatte bei den fachlichen und sprachlich­en Qualifikat­ion müsse unbedingt sehr hoch bleiben. Das gelte umso mehr, „wenn vier von fünf Kollegen auf einer Station nicht Deutsch-Mutterspra­chler sind“. Nicht-EU-Mediziner müssen für ihre Zulassung eine Kenntnispr­üfung ablegen, bei der alle Inhalte des deutschen Medizinstu­diums abgefragt werden können. Eine zusätzlich­e Fachsprach­en-Prüfung nehmen meistens die Landeskamm­ern ab. Die Prozesse seien manchmal extrem undurchsic­htig, moniert Tölle. Es brauche großes Durchhalte­vermögen. Das hat Amera Kabara. „Ich habe alles verloren in Syrien. Ich lerne hier und möchte arbeiten. Ich bin noch jung. Und ich kann alles schaffen.“

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FOTO: BECKER/DPA Der 34-jährige Amera Kabara, der aus Syrien nach Deutschlan­d geflohen ist, macht in Neuss eine Ausbildung zum Altenpfleg­er. Ohne Personal aus dem Ausland droht im Gesundheit­swesen der Kollaps, sagen Experten.

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