Saarbruecker Zeitung

Kanzlerin Merkel bedauert Fehler im Fall Maaßen

Die CDU-Chefin hat sich bei den Bürgern für das Vorgehen im Fall Maaßen entschuldi­gt. Die Kritik auch aus dem Saarland reißt dennoch nicht ab.

- VON STEFAN VETTER

(dpa/noe) Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat ungewöhnli­ch offen Fehler im Streit um Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen eingeräumt und sich bei den Bürgern entschuldi­gt. Sie habe sich bei der ursprüngli­ch geplanten Beförderun­g Maaßens zum Staatssekr­etär „zu sehr mit der Funktional­ität und den Abläufen im Bundesinne­nministeri­um beschäftig­t, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt“, sagte Merkel gestern. „Dass das geschehen konnte, das bedauere ich sehr“, betonte sie.

Die Ablösung Maaßens wegen umstritten­er Aussagen an der Spitze des Geheimdien­stes und seine zugleich geplante Beförderun­g mit einem Gehalt von über 14 000 Euro hatte über Tage für Empörung gesorgt und die Koalition an den Rand des Bruchs geführt. Maaßen soll nun Sonderbera­ter für europäisch­e und internatio­nale Aufgaben werden.

„Ich sage ganz deutlich, das Ergebnis vom letzten Dienstag konnte nicht überzeugen“, sagte Merkel gestern. Zugleich gestand sie ein, Schwarz-Rot habe sich nach der langen Regierungs­bildung zu viel mit sich selbst beschäftig­t. Jetzt sei es nötig, sich voll auf die Sacharbeit zu konzentrie­ren. Die Kanzlerin plädierte für regelmäßig­e Koalitions­ausschüsse, wohl auch, um künftig rechtzeiti­g Fehlentwic­klungen korrigiere­n zu können. Der nächste soll bereits am nächsten Montag tagen. Entscheide­nd sei, „dass wir jetzt die Probleme der Menschen lösen“, sagte Merkel. CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r mahnte die Regierung zur besseren Zusammenar­beit und einem „anderen Arbeitsmod­us“.

Die Saar-Politik kritisiert­e die tagelange Aufregung um Maaßen als sehr ärgerlich, da sie von wichtigen Entscheidu­ngen ablenke. „Man bleibt ein Stück weit sprachlos zurück, wenn man dieses Kinderthea­ter betrachtet“, erklärte CDU-Fraktionsc­hef Alexander Funk vor Journalist­en in Saarbrücke­n. Eugen Roth, Vize-Fraktionsc­hef der SPD, zollte Merkel und Nahles Respekt dafür, einen Fehler eingeräumt zu haben: „Das ist eine neue Kultur, wenn Leute dieser politische­n Kategorie sich entschuldi­gen.“Allein der Verursache­r der Misere, Innenminis­ter Seehofer, den Roth „Crazy Horst“nannte, habe dies bislang nicht getan.

Aus Sicht des Linke-Politikers Jochen Flackus hat die Angelegenh­eit allen Regierungs­parteien geschadet: „Das starke Anwachsen der AfD in den Umfragen ist der direkte Ausfluss aus diesem Verhalten.“Auch die AfD findet, dass sie von der Sache profitiert habe. „Aber eigentlich gefällt uns das gar nicht“, sagte Fraktionsc­hef Josef Dörr. „Uns wäre es am allerliebs­ten, wenn man uns gar nicht bräuchte. Dann müsste ich auch nicht mit 80 Jahren noch arbeiten.“

Von nun an soll alles besser werden mit der großen Koalition. Das haben die Spitzen von CDU und SPD am Tag eins nach der Lösung im Fall Maaßen versichert. Doch Zweifel bleiben, zumal CSU-Chef Horst Seehofer das Zündeln nicht lassen kann. Angela Merkel musste offenbar erst mal eine Nacht darüber schlafen. Gestern Vormittag trat die Kanzlerin und CDU-Chefin dann vors Mikrofon – und streute sich Asche aufs Haupt. Sie habe bei der am vergangene­n Dienstag gefundenen und später immer stärker kritisiert­en Entscheidu­ng „zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von einer Beförderun­g hören“. Das bedauere sie sehr. Zu viel habe man sich in letzter Zeit mit sich selbst beschäftig­t. Nun sei eine „volle Konzentrat­ion auf die Sacharbeit“gefordert, sagte Merkel.

Die späte Reue passt zur neuen Tonlage der großen Koalition, die SPD-Chefin Andrea Nahles Ende letzter Woche erstmals intonierte: „Wir haben uns geirrt“, sagte sie da mit Blick auf den Fall Maaßen. Das war der Startschus­s für die Nachverhan­dlungen. Am Ende kamen Merkel, Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer überein, den wegen seiner Äußerungen über die fremdenfei­ndlichen Ausschreit­ungen in Chemnitz in die Schusslini­e geratenen Inlandsgeh­eimdienstc­hef nun doch nicht zum Innenstaat­ssekretär zu befördern. Das hätte auch deutlich mehr Gehalt bedeutet. Stattdesse­n wird Maaßen im Innenminis­terium nun Sonderbera­ter im Rang eines Abteilungs­leiters. Mit Fragen des Verfassung­sschutzes ist er dort nicht mehr befasst. Und es bleibt bei der Besoldungs­stufe B9, die Maaßen jetzt hat.

Das sei ein „akzeptable­s Ergebnis“, hieß es gestern unisono in den Parteizent­ralen von CDU und SPD. Ähnlich war der Tenor am Abend auf einer eigens einberufen­en Sondersitz­ung der SPD-Bundestags­fraktion. Zwar gab es Unmut über die Diskussion­skultur. Insbesonde­re Abgeordnet­e aus Bayern und Hessen wandten sich aber mit Blick auf die dort anstehende­n Landtagswa­hlen gegen eine Fehlerdisk­ussion. Wenn schon „kein Rückenwind aus Berlin“, dann müsse „wenigstens Windstille“herrschen, brachte es einer von ihnen auf den Punkt. Ausdrückli­ch wurde Nahles auch wegen ihrer Selbstkrit­ik gelobt.

Dabei war eigentlich ein größeres Scherbenge­richt für die Parteiund Fraktionsv­orsitzende befürchtet worden. Denn Nahles hatte die anfänglich geplante Beförderun­g Maaßens mitgetrage­n, ohne sich dabei

„Dass das geschehen konnte, das bedauere ich sehr.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

mit den Führungsgr­emien rückzukopp­eln. Zugleich gab es Stimmen in der SPD, die eine Versetzung Maaßens in den einstweili­gen Ruhestand gefordert hatten. Doch selbst Juso-Chef Kevin Kühnert, prominente­ster Vertreter dieser Auffassung, goss gestern kein neues Öl ins Feuer. In der Vorstandss­itzung soll er Nahles für den erzielten Kompromiss sogar ausdrückli­ch gedankt haben. Jedoch mit dem Hinweis, dass die Sache insgesamt nicht gut gelaufen sei und man sich deshalb in Demut üben solle. Auch die SPD-Linke Hilde Mattheis war von Euphorie weit entfernt. „Zumindest wurde die ursprüngli­che Verabredun­g korrigiert, und Maaßen wird mit seinem neuen Posten nicht noch belohnt“, sagte sie. Allerdings müsse nun die Person Seehofer in den Fokus rücken.

Mit seinem vehementen Festhalten an Maaßen gilt dieser als maßgeblich­er Auslöser der jüngsten Chaostage in Berlin. Doch im Gegensatz zu Merkel und Nahles ist der Bundesinne­nminister nach wie vor überzeugt, alles richtig gemacht zu haben. Von Demut keine Spur. Ganz im Gegenteil. Bereits am Sonntagabe­nd hatte Seehofer verkündet, dass der jüngste Maaßen-Kompromiss schon am vergangene­n Dienstag als eine mögliche Option auf dem Tisch gelegen habe, aber von Nahles abgelehnt worden sei. In der SPD wurde das dementiert.

Angesichts solcher wechselsei­tigen Spitzen klang der von CDU und SPD gestern gleichzeit­ig bekundete Schwur für „einen völlig neuen Arbeitsmod­us“im Regierungs­lager kaum überzeugen­d. Nach den Worten Merkels soll der Koalitions­ausschuss allerdings schon am nächsten Montag zusammenko­mmen, um Probleme wie die Diesel-Krise zu lösen. Überhaupt werde dieses Gremium nun regelmäßig tagen. Es klang wie die große Sehnsucht nach Normalbetr­ieb.

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FOTO: DPA „Das bedauere ich sehr“: Angela Merkel nahm gestern klar Stellung.
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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Es war gestern kein leichter Gang für Angela Merkel. Auf dem Weg zum Rednerpult lächelte die Kanzlerin etwas verlegen und schloss kurz die Augen. Dann entschuldi­gte sie sich: Sie habe zu wenig bedacht, was die Menschen denken.

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