Saarbruecker Zeitung

EU-Staaten lassen Gelder aus Brüssel einfach liegen

Will denn keiner zugreifen? Die Fördergeld­er aus Brüssel bleiben oft liegen. Auch dem Saarland gehen hohe Beträge durch die Lappen.

- VON DETLEF DREWES UND FATIMA ABBAS

EU-Fördergeld­er bleiben oft liegen, weil die Mitgliedst­aaten sie aus unterschie­dlichen Gründen nicht abrufen. Auch dem Saarland gehen auf diese Weise Millionen-Beträge durch die Lappen.

BRÜSSEL/SAARBRÜCKE­N Jo Leinen spricht von „mehreren Millionen“. Millionen, von denen das Saarland profitiere­n könnte – es aber nicht tut. Der saarländis­che EU-Abgeordnet­e stellt gestern gegenüber der SZ das fest, was auch der Landesrech­nungshof seit Jahren moniert: „Das Saarland lässt EU-Fördergeld­er liegen.“

Doch die Region ist mit dem Problem nicht alleine: Es betrifft auch die höhere Ebene, alle EU-Staaten gleicherma­ßen. Sie geben zu wenig Geld aus. Dabei liegen derzeit rund 270 Milliarden Euro abrufberei­t in Brüssel. Doch die Länder, denen die Beträge zugesagt wurden, fordern sie nicht ein. Ein Missstand, der seit Jahren anhält.

Der CDU-Politiker Klaus Heiner Lehne steht seit zwei Jahren an der Spitze des Europäisch­en Rechnungsh­ofes in Luxemburg. Nun zieht er in einem Interview eine bittere Bilanz der Förderprax­is innerhalb der EU-Staaten. „Die Summe der nicht abgerufene­n Mittel für EU-Förderprog­ramme ist auf den Rekordstan­d von 270 Milliarden Euro gestiegen. Die Gelder sind von der EU zugesagt, werden aber nicht ausgegeben.“Der Berg werde immer größer und sei nun „doppelt so hoch wie ein EU-Jahresetat“. Und auch Ingeborg Grässle, die Vorsitzend­e des Haushaltsk­ontrollaus­schusses im Europäisch­en Parlament, bestätigt: „Wir erreichen jedes Jahr neue Höchststän­de. Im vergangene­n Jahr waren wir bereits bei 248 Milliarden Euro, die auf Halde lagen.“Sie nennt die wichtigste­n Gründe: „Manche Staaten können die vorgeschri­ebenen Eigenmitte­l nicht aufbringen. Andere erfüllen die Bedingunge­n nicht. Wieder andere haben schlicht keine förderwürd­igen Projekte, und manche Regionen sind ausfinanzi­ert.“

Im Falle des Saarlands sind es laut Leinen hauptsächl­ich die Eigenmitte­l, die den Kommunen fehlten. Die EU fördere nie zu 100 Prozent, sondern maximal zu 80 bis 90. Den Rest müssen die Geförderte­n für ein bestimmtes Projekt selbst beisteuern. Und daran scheitere es im finanzschw­achen Saarland häufig. Immerhin: Im Förderungs­zeitraum 2014 bis 2020 erhält das Land 250 Millionen Euro aus Brüssel. Laut Finanzmini­sterium fließen davon 143 Millionen Euro in die regionale Entwicklun­g (EFRE) und knapp 74 Millionen in soziale Projekte (ESF). Doch weder aus dem Finanzmini­sterium noch aus der Staatskanz­lei erhielt die SZ gestern nähere Informatio­nen zu dem Betrag, den das Saarland in Brüssel liegen lässt.

Die Gelder, die auf EU-Ebene auf der Strecke bleiben, stehen zu einem großen Teil Italien zu – obwohl der römische Innenminis­ter Matteo Salvini nicht müde wird, von Brüssel mehr Geld zu fordern. Dabei müsste er es nur abrufen. Doch die eigene Verwaltung arbeitet alles andere als effizient. Ein Problem, das auch viele Ost-Staaten haben.

Fast 90 Prozent der nicht abgerufene­n Mittel betreffen die Infrastruk­tursowie die Kohäsionsp­olitik, sind also Gelder, mit denen benachteil­igte Regionen aufgepäppe­lt werden. Ein weiteres Problem: Nicht genutzte Gelder können nicht von einer in eine andere Haushaltsp­osition umgewidmet werden. Es fehlt somit die Flexibilit­ät, die für nationale Etats selbstvers­tändlich ist. Mit entspreche­nden Konsequenz­en: „Der aktuelle Haushalt, der noch bis 2021 läuft, wurde 2013 beschlosse­n“, sagt Westphal. „Deswegen müssen wir jetzt mühsam dafür sorgen, dass man EU-Fördergeld­er beispielsw­eise für die Integratio­n von Flüchtling­en ausgeben kann.“Das Übel bleibt: „Der neue Etat wird bis 2027 laufen – wer will jetzt schon sagen, vor welchen Herausford­erungen wir 2024 stehen?“, fragt nicht nur die SPD-Politikeri­n. Rechnungsh­of-Präsident Lehne sieht das genauso: „Der Kommunismu­s ist schon an einem FünfJahres-Plan gescheiter­t – wir machen einen Sieben-Jahres-Plan.“Günther Oettinger, innerhalb der Europäisch­en Kommission für den Haushalt zuständig, hat in seinem Entwurf für die sieben Jahre ab 2021 deshalb ein neues Instrument eingebaut: In der Mitte der nächsten Finanzperi­ode soll eine Art Kassenstur­z gemacht werden, um zu sehen, ob die Prioritäte­n stimmen. Das dürfte auch das Saarland interessie­ren.

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FOTO:WOLFILSER/ FOTOLIA 270 Milliarden Euro: Das ist der Rekordstan­d der EU-Mittel, die von den Mitgliedss­taaten liegen gelassen werden.

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