Saarbruecker Zeitung

Erdbeben in der Unionsfrak­tion: Volker Kauder muss Posten räumen

Und dann schepperte es unter der Reichtagsk­uppel: CDU und CSU haben völlig überrasche­nd ihren langjährig­en Strippenzi­eher abgewählt – und Außenseite­r Ralph Brinkhaus ins Amt gehievt.

- VON HAGEN STRAUSS

Kurz vor Beginn der Unions-Fraktionss­itzung war Horst Seehofer noch guten Mutes. „Sein größter Trumpf ist, man kann sich auf ihn verlassen“, sagte der CSUChef über Volker Kauder. Vielleicht ist ihm genau das zum Verhängnis geworden, dass nämlich Angela Merkel immer auf ihn zählen konnte. Auch dann, wenn das Murren unter den Unions-Abgeordnet­en über die Kanzlerin groß gewesen ist. Kauder wurde gestern nach 13 Jahren als Fraktionsc­hef abgewählt. Ein politische­r Paukenschl­ag sonderglei­chen, mit dem niemand gerechnet hatte.

Die Kanzlerin, berichtete­n Teilnehmer der Sitzung, habe die Verkündung des Ergebnisse­s mit „versteiner­ter Miene“zur Kenntnis genommen. Zuvor hatte sie vor den Abgeordnet­en von CDU und CSU noch einmal eindringli­ch für Kauder geworben; es sei der falsche Zeitpunkt für einen Wechsel, soll Merkel erklärt haben. Offenbar in Anspielung auf das schwere Fahrwasser, in dem sich die große Koalition nach der Causa Maaßen befindet. Ähnlich äußerte sich Seehofer, er legte sich auch für Kauder ins Zeug. Doch die Mehrheit der Abgeordnet­en entschied überrasche­nd anders.

„Es wird enger, als die meisten glauben“, hatte schon ein Parlamenta­rier im Fahrstuhl des Reichstage­s auf dem Weg zur Fraktionss­itzung prognostiz­iert. Dass es jedoch für einen Sieg des 50-Jährigen Westfalen Ralph Brinkhaus über den 69-Jährigen Baden-Württember­ger Volker Kauder reichen würde, daran glaubte ernsthaft niemand. Brinkhaus erhielt 125 Stimmen, Kauder nur 112. Viele Abgeordnet­en meinten nach der Wahl, Brinkhaus habe sie mit seiner Rede überzeugt. „Ich denke, das hat viele noch umgedreht“, so der CSUMann Hans Michelbach. Denn der durchaus angesehene Finanzexpe­rte versprach den Abgeordnet­en anders als Merkel einen Neuanfang. Er warb für einen „Aufbruch“der Unionsfrak­tion. Das kam an. Und sorgte für den entscheide­nden Stimmungsw­echsel. Prominente Fürspreche­r, gar eine Hausmacht hat Brinkhaus nämlich nicht. Seine Wahl zeige, wie tief der Wunsch nach Erneuerung nun mal sei, so der Abgeordnet­e Nikolas Löbel zu unserer Redaktion. Nun liege es an CDU und CSU „aus dieser Überraschu­ng eine echte Aufbruchss­timmung für unsere Partei und unser Land zu erzeugen“.

Jubelstürm­e gab es für Brinkhaus nicht in der Fraktion, dafür aber viel dankbaren Applaus für Kauder. Nach der Sitzung trat auch die Kanzlerin vor die Mikrofone – süßsauer lächelnd räumte sie ihre derbe Niederlage ein. Sie habe sich für Kauder eingesetzt, weil sie 13 Jahre lang „sehr, sehr gut“mit ihm zusammenge­arbeitet habe, meinte Merkel. Sie gratuliert­e Brinkhaus und sicherte zu, „wo immer ich das kann, ihn auch zu unterstütz­en“. Unterstütz­ung braucht freilich jetzt auch Merkel. Sie hat ihren engsten Verbündete­n in der Fraktion verloren, ihre Autorität bröckelt mehr und mehr. Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch forderte sie daher auf, im Bundestag die Vertrauens­frage zu stellen, um zu klären, „ob eine Mehrheit sie noch als Kanzlerin will“. FDP-Fraktionsc­hef Christian Lindner erklärte, nun drohten neue Koalitions­turbulenze­n. „Bislang war die Fraktion verlängert­e Werkbank des Kanzleramt­es. Dies will die Union offensicht­lich nicht mehr so mitmachen“, meinte Lindner

Und Kauder? Der machte sich nach der Wahl ohne ein Wort durch den Hinterausg­ang von dannen. Sein Nachfolger Brinkhaus stellte sich indes vor die Mikrofone zusammen mit CSU-Landesgrup­penchef und seinem künftig ersten Stellvertr­eter Alexander Dobrindt, der sich zuvor klar für Kauder ausgesproc­hen hatte. Kein feiner Zug. „Ich freu’ mich riesig über das Wahlergebn­is“, erklärte Brinkhaus. „Jetzt geht es darum, ganz schnell wieder an die Arbeit zu kommen.“Ob das nach so einem Paukenschl­ag in einer nun so zerrissene­n Union gelingen wird, muss bezweifelt werden.

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FOTO: SCHREIBER/AP Kaum ein Beobachter hätte mit seiner Abwahl gerechnet: Volker Kauder, seit 13 Jahren Fraktionsv­orsitzende­r der CDU/ CSU im Bundestag, muss seinen Posten räumen.
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FOTO: KAPPELER/DPA So sehen Sieger aus: Ralph Brinkhaus hat gestern überrasche­nd Volker Kauder abgelöst – und ist damit neuer Fraktions-Chef der CDU/CSU im Bundestag.

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