Saarbruecker Zeitung

„Capitano“Salvini inszeniert sich als Volkstribu­n

Italiens Innenminis­ter von der rechten Lega macht Politik gegen Ausländer. Seine Landsleute applaudier­en. Jetzt ist ihm ein neuer Coup gelungen.

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ab 2008 ist dem Land die Strategie des anarchisch­en Durchwurst­elns abhanden gekommen, die Staatskass­en sind leer, Brüssel wacht mit Argusaugen. In den vergangene­n Jahren sind etwa eine halbe Million Migranten an den Küsten des Mittelmeer-Landes angekommen. Viele junge Menschen verlassen Italien, die Älteren im Land werden immer älter, die Geburtenra­te ist die niedrigste in der EU. Wo man auch hinblickt, in den Norden oder Süden, die Stimmung ist verzagt in Italien. Beste Bedingunge­n für einen Volkstribu­n.

Matteo Salvini hat wie kein anderer Politiker in Italien die Depression, Angst und Wut seiner Landsleute erfasst und ausgenutzt. Bei den Wahlen im März erzielte seine Lega 17 Prozent der Stimmen, heute würden Umfragen zufolge mehr als 30 Prozent der Italiener die Lega wählen. Seit Juni ist Salvini im Amt, der frühere Mailänder Stadtrat und EU-Parlamenta­rier bombardier­t seine Landsleute seither mit Parolen, jetzt sollen die Fakten folgen.

Sein neuster Coup: Zu Beginn dieser Woche verabschie­dete die Regierung ein nach dem Innenminis­ter benanntes „Sicherheit­s-Dekret“. Danach werden Asylanträg­e ausgesetzt, wenn ein Antragstel­ler als „sozial gefährlich“eingestuft wird. Asylanträg­e von Bewerbern, denen Drogenhand­el oder Diebstahl angelastet wird, sollen abgelehnt werden.

Matteo Salvini Die Abschiebeh­aft darf künftig auf 180 Tage verlängert werden. Aufenthalt­sgenehmigu­ngen aus humanitäre­n Gründen werden abgeschaff­t. Streifenpo­lizisten in den Städten sollen mit Elektrosch­ockern ausgestatt­et werden. „Ich bin glücklich“, schrieb der Innenminis­ter auf Twitter. „Ein weiterer Schritt, um Italien sicherer zu machen.“Dazu setzte Salvini einen lachenden Smiley.

Die Italiener scheinen auf jemanden wie ihn nur gewartet zu haben. 72 Prozent von ihnen sind einverstan­den mit der gnadenlose­n Ausländerp­olitik. Die Kompromiss­losigkeit des Innenminis­ters hat längst auch das Interesse im Ausland geweckt. Das US-Magazin Time brachte neulich eine Titelgesch­ichte über Salvini, unter seinem Foto die Worte: „Das neue Gesicht Europas“. Auch in der EU blicken die Radikalen voller Anerkennun­g nach Rom. Hier gelingt einem Rechtsauße­n-Politiker, wovon die Verbündete­n im Ausland bislang nur träumen: Salvini macht radikale Politik gegen Ausländer und weite Teile der Bevölkerun­g applaudier­en.

Für die Reaktion der Italiener gibt es vor allem zwei Gründe. Einerseits fühlt sich Italien, mit Griechenla­nd eines der beiden großen Ankunftslä­nder für Migranten in der EU, bereits seit Jahren von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen. Jahrelang war es nur eine Minderheit im Land, die sich über bettelnde Afrikaner auf den Bürgerstei­gen oder unkontroll­ierte Strandhänd­ler aufregte. Inzwischen beschweren sich immer mehr Landsleute über die Fremden, sie sind der Tropfen der das italienisc­he FrustFass zum Überlaufen gebracht hat. Salvini hatte zudem den Vorteil, in ein Vakuum vorzustoße­n. Seit dem langsamen Niedergang der Berlusconi-Partei Forza Italia gibt es keine schlagkräf­tige Partei rechts der Mitte. Der vielleicht wichtigste Schachzug Salvinis dabei war, die frühere Lega Nord bei den Parlaments­wahlen nun als „Lega“erstmals italienwei­t aufzustell­en.

Als erstes verweigert­e der Innenminis­ter mit Flüchtling­en beladenen Hilfsschif­fen das Anlegen. Wenig später kündigte er eine Volkszählu­ng von Sinti und Roma in Italien an. Seit Salvini im August verfügte, dass 177 Flüchtling­e tagelang auf dem Schiff Diciotti der italienisc­hen Marine festgesetz­t werden, ermittelt die Staatsanwa­ltschaft wegen Freiheitsb­eraubung gegen ihn. Doch der Konsens in der Bevölkerun­g wirkt beinahe wie ein Schutzschi­ld. „Sollen sie mich doch festnehmen“, schrieb Salvini auf Twitter. „Ich bin stolz für die Verteidigu­ng der Grenzen und die Sicherheit der Italiener zu kämpfen.“

„Ich bin stolz, für die Verteidigu­ng der Grenzen und die Sicherheit der Italiener

zu kämpfen.“

Italienisc­her Innenminis­ter

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FOTO: BRUNO/AP/DPA Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Regierungs­partei Lega kommt bei vielen Italienern gut an.

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