Saarbruecker Zeitung

Wie Schwule zu Justiz-Opfern wurden

Fachtagung im Saarbrücke­r Rathaus will einen „weißen Fleck“in der saarländis­chen Geschichts­schreibung schließen.

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Tagung. „Es geht darum, neue Erkenntnis­se aus Quellen des saarländis­chen Landesarch­ivs in einen deutschlan­dweiten Zusammenha­ng zu setzen“, sagte jetzt Burkhard Jellonnek, Chef des Landesinst­ituts für Pädagogik und Medien (LPM) der SZ. Jellonnek, der seine Doktorarbe­it an der Uni Münster 1989 über „Homosexuel­le unterm Hakenkreuz“schrieb, erklärte, dass mit den neuen Forschungs­ergebnisse­n Vergleiche mit der Verfolgung­sgeschicht­e in anderen Bundesländ­ern angestellt werden könnten.

Jellonnek will bei der Tagung, die um 9 Uhr beginnt, in seinem Einführung­svortrag die These aufstellen, dass es auch bei der Verfolgung Homosexuel­ler einen „saarländis­chen Sonderweg“gegeben habe. Im Landesarch­iv lagerten 300 Akten mit Verfahren gegen Homosexuel­le aus der NS-Zeit, betonte Jellonnek. Während in Hitler-Deutschlan­d die Verfolgung vor allem von Schwulen im Zuge des innerparte­ilichen Machtkampf­s in der NSDAP 1934 zwischen SA und SS sich erheblich verschärft habe, habe im vom Völkerbund verwaltete­n Saargebiet die Repression erst im Juni 1935, ein knappes halbes Jahr nach der Volksabsti­mmung für den Anschluss ans Deutsche Reich, eingesetzt.

1934 war der homosexuel­le SAChef Ernst Röhm auf Befehl Hitlers in München ermordet worden. „Es könnte sein, dass danach homosexuel­le SA-Männer ins Saargebiet geflohen sind“, sagte Jellonnek. In der Nazi-Zeit gipfelte die Verfolgung der Homosexuel­len später darin, dass sie in Konzentrat­ionslager gebracht wurden, wo sie die KZ-Kleidung mit dem „rosa Winkel“als Kennzeiche­n zu tragen hatten. „Eine Freilassun­g gab es nur nach einer Kastration“, so Jellonnek. Etwa 6000 von ihnen starben in den KZ.

Doch auch für die Zeit nach 1945 gibt es noch viel Unerforsch­tes über die Verfolgung der Homosexuel­len im neuen Saar-Staat mit dem Ministerpr­äsidenten

„Es gilt eine große Gruppe der Bevölkerun­g zu würdigen, der über lange Zeit großes Unrecht widerfuhr.“

Burkhard Jellonnek

Chef des Landesinst­ituts für Pädagogik

und Medien

Johannes Hoffmann (Christlich­e Volksparte­i) an der Spitze. Galt der Paragraf 175 des Reichsstra­fgesetzbuc­hes von 1871, der Sex unter Männern mit Zuchthauss­trafen ahndete, im Saarland wie im Bundesgebi­et weiter? Oder wurde der Paragraf in der Saarzeit bis 1957 vergleichs­weise liberal angewandt wie zur Zeit der Weimarer Republik? „Das sind alles Fragen, die es noch zu klären gilt“, sagte Jellonnek, dessen LPM mit dem Lesben- und Schwulenve­rband Deutschlan­d (LSVD), der Frauen-Gender-Bibliothek Saar, den Ministerie­n für Soziales und Kultur, der Landeszent­rale für politische Bildung und der Stadt Saarbrücke­r Veranstalt­er der Fachtagung ist.

„Es gilt eine große Gruppe der Bevölkerun­g zu würdigen, der über lange Zeit großes Unrecht widerfuhr“, betonte Jellonnek. Dabei geht die Entschädig­ung der Homosexuel­len, die nach dem Paragrafen 175 bis 1994 in Deutschlan­d verurteilt worden waren, offenbar nur mühsam voran. In dem Fonds, der 2017 auf Initiative des damaligen Bundesjust­izminister­s Heiko Maas (SPD) eingericht­et worden war, harren nach SZ-Informatio­nen noch 150 000 Euro auf Ausschüttu­ng an schwule und lesbische Justizopfe­r. Aus dem Saarland soll kein einziger Entschädig­ungsantrag in Berlin eingegange­n sein.

Saar-LSVD-Sprecher Hasso Müller-Kittnau hatte der SZ 2016 berichtet, dass ihm keine Erkenntnis­se über Homosexuel­le im Saarland, die nach dem Paragrafen 175 verurteilt worden seien, vorlägen. Auch die Landesregi­erung winkte ab: Weder im Justizmini­sterium noch im Landesamt für Statistik gebe es Zahlen zu den Betroffene­n. Das sei der mangelhaft­en Datenverar­beitung und der Vernichtun­g von Akten geschuldet, hieß es.

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FOTO: IMAGO/IMAGEBROKE­R Gedenkstei­n für die homosexuel­len NS-Opfer im ehemaligen KZ Buchenwald bei Weimar.

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