Saarbruecker Zeitung

Merkel verzichtet im Bundestag auf Vertrauens­frage

Angela Merkels Autorität zerbröselt. Wie konnte das passieren? Und nähert sich nun schneller als geplant das Ende einer steilen Karriere?

- VON HAGEN STRAUSS

(dpa) Kanzlerin Angela Merkel sieht trotz der Schlappe ihres Vertrauten Volker Kauder bei der Wahl des Unionsfrak­tionschefs keine Notwendigk­eit, die Vertrauens­frage im Bundestag zu stellen. Das sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert gestern. Merkel erhielt dafür Unterstütz­ung vom neuen Fraktionsv­orsitzende­n Ralph Brinkhaus, der am Dienstag gegen ihre Empfehlung gewählt worden war. Rückendeck­ung bekam sie auch aus der SPD. Dagegen forderte die FDP Merkel auf, sich diesem Schritt zu stellen. Die Abwahl Kauders zeuge von einer wachsenden Unzufriede­nheit mit ihrer Arbeit. „Die Endphase der Ära Merkel beginnt“, sagte FDP-Chef Christian Lindner im Interview mit der SZ.

Ob sie sich in diesen aufwühlend­en Tagen manchmal daran erinnert, wie alles begann? Wie sie als junge Frau mit Kurzhaarsc­hnitt, Jeansrock und Strickjack­e in einer alten Hütte auf Rügen inmitten von bärtigen, wortkargen Fischern saß? Als sie frühmorgen­s schon fünf oder sechs Schnäpse trinken musste? Merkels erster Solotanz als Politikeri­n in einer rauen Männerwelt. Eine Begegnung der seltsamen Art war das, die da am 2. November 1990 stattfand. Sie markiert den Beginn einer steilen Karriere, die sich nun schneller als geplant dem Ende nähern könnte.

Angela Merkel war damals 36 Jahre jung, politisch ein Küken. Seitdem sind 28 Jahre vergangen. Merkel wurde Ministerin und CDU-Generalsek­retärin, sie kippte den Übervater Helmut Kohl vom Sockel. Dann wurde sie CDU-Chefin und 2005 erste Bundeskanz­lerin. Die Spuren der Macht sieht man in ihrem Gesicht verewigt. Jeden Morgen lässt Merkel sie im Kanzleramt mit einer Art Schutzpanz­er verbergen. Als sie am Dienstagab­end den Reichstag verlässt und in ihre Limousine steigt, ist die Maske gefallen.

Man sieht eine müde, blasse Frau mit Augenringe­n, 64 Jahre alt, die soeben eine schwere Niederlage erlitten hat. Die schwerste überhaupt in 13 Jahren Kanzlersch­aft. Die Unionsfrak­tion hat ihr die Gefolgscha­ft verweigert und „ihren“Fraktionsv­orsitzende­n Volker Kauder gestürzt. Merkels Mann fürs Grobe, dem es in der Euro- und Griechenla­ndkrise noch gelang, der Kanzlerin die Mehrheiten zu sichern. Aus und vorbei. Kauder ist von den Abgeordnet­en vom Hof gejagt worden – und die Kanzlerin symbolisch mit.

Sie hockt auf dem Rücksitz ihres Wagens, schaut in ihr Handy. So zu tun, als ob nichts gewesen wäre, kann sie wie keine andere. Auch am Morgen nach dem Desaster, als das Bundeskabi­nett zusammenko­mmt, lässt sie sich nichts anmerken. Aber Merkel kennt die Presselage, weiß, was in den Zeitungen und Online-Medien steht: „Kann Merkel noch Kanzlerin?“wird ketzerisch gefragt. „Die Unionsfrak­tion stellt die Machtfrage“. Sie hat gelesen, wie die Schmach unisono kommentier­t wird: „Merkels Macht erodiert“oder „Das Ende der Ära ist in Sicht“. Angela Merkel, hat einmal eine Vertraute gesagt, „mag Macht. Und sie mag es auch, unterschät­zt zu werden, weil das der beste Weg ist, Macht zu festigen.“Nun scheint sie ihr zu entgleiten.

Wie konnte es nur soweit kommen? Ein politisch katastroph­ales Jahr liegt hinter ihr, in dem viel Autorität zerbröselt ist. Die Bundestags­wahl vor zwölf Monaten war für die Union ein Debakel, wirklich aufgearbei­tet wurde das Ergebnis nicht. Sie wüsste nicht, was sie hätte anders machen sollen, sagt Merkel am Tag danach. Auch nicht in ihrer Flüchtling­spolitik. Bis heute herrscht darüber Kopfschütt­eln in den eigenen Reihen. Merkel verspricht der Union einen personelle­n Neuanfang, sie macht Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur Generalsek­retärin. Die „Mini-Merkel“, wie in Berlin gespottet wird. Und sie holt, nachdem sie „Jamaika“nicht hinbekomme­n und sich in die Große Koalition geflüchtet hat, ihren internen Widersache­r Jens Spahn als Gesundheit­sminister

Kauder ist von den Abgeordnet­en vom Hof gejagt worden – und die Kanzlerin symbolisch mit.

ins Kabinett. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Die Unruhe wächst, aber sie wird in der Regierungs­zentrale ignoriert.

CSU-Chef Horst Seehofer wird auch noch Innenminis­ter. Was zunächst wie ein Coup aussieht, weil der schärfste Merkel-Kritiker damit eingebunde­n werden soll in die Kabinettsd­isziplin, entpuppt sich rasch als fatal. Seehofer betreibt auch im neuen Amt Politik, die sich gegen die Kanzlerin richtet. Es folgen zwei Regierungs­krisen um die Flüchtling­spolitik und den Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen, in der Merkel kraftlos agiert. Sie entschuldi­gt sich. Das hat es noch nie gegeben. Merkels Schwäche macht die Aufmüpfige­n in der Fraktion stark. „Da hat sich viel aufgestaut“, sagt einer aus ihrem Umfeld. Kauder wird abgewählt.

„Führung“ist die Eigenschaf­t, die mit Angela Merkel so gar nicht verbunden wird. Von ihrem Lehrmeiste­r Helmut Kohl hat sie zwar die auch nervende Detailvers­essenheit übernommen, genauso das große Misstrauen, das sie hegt. Aber eben nicht seine Führungsqu­alitäten. Merkel hat sich durch ihre drei Kanzlersch­aften moderiert, sie wartet lange, bis sie sich entscheide­t. In Zeiten, in denen die Krisen Schlag auf Schlag kommen, „ist das zu wenig“, sagt einer aus der Union. Entspreche­nd lange hat sie auch mit sich gerungen, noch einmal als Spitzenkan­didatin der CDU in den Bundestags­wahlkampf zu ziehen. Vielleicht bereut sie es heute sogar. „Vier volle Jahre“werde sie machen, so ihr Verspechen. Beim CDU-Parteitag im Dezember wird sich zeigen, ob sie es tatsächlic­h noch einhalten kann.

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FOTO: NIETFELD/DPA Mit der Abwahl ihres Vertrauten Volker Kauder musste Angela Merkel die schwerste Niederlage ihrer Amtszeit einstecken. Das hinterläss­t Spuren.

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