Saarbruecker Zeitung

„Die Endphase der Ära Merkel beginnt“

Der FDP-Chef rät der Kanzlerin, die Vertrauens­frage zu stellen. Nach Neuwahlen wären die Liberalen zu Gesprächen über eine Regierungs­bildung bereit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE HAGEN STRAUSS

Nach Ansicht von Christian Lindner hat die Bundeskanz­lerin ihre Gestaltung­kraft eingebüßt. Im Gespräch mit unserer Redaktion betont der Vorsitzend­e der FDP, dass die Liberalen nach Neuwahlen für erneute Verhandlun­gen über eine Regierungs­bildung bereitstün­den.

Herr Lindner, hat die Unionsfrak­tion mit der Abwahl von Volker Kauder das Ende der Kanzlersch­aft von Angela Merkel eingeläute­t?

LINDNER Ja. Die Endphase der Ära Merkel beginnt. Der nur moderieren­de Politiksti­l bis an die Grenze der Richtungsl­osigkeit ist bei der Kanzlerin zwar kein neues Phänomen. Doch jetzt ist die Unzufriede­nheit so groß, das sie auch nach außen sichtbar wird.

Wie kann einer so erfahrenen Politikeri­n wie Merkel das passieren?

LINDNER Frau Merkel hat es im vergangene­n Jahr zunächst auch nicht vermocht, eine Regierung zu bilden. Nach 13 Jahren im Amt darf man ihr persönlich keinen Vorwurf machen, dass sie ihre Gestaltung­skraft eingebüßt hat. Aber Deutschlan­d wartet auf einen Erneuerung­simpuls bei Wirtschaft, Bildung und Digitalisi­erung. Und die Menschen warten drei Jahre nach der Flüchtling­skrise darauf, dass Frau Merkel endlich ein neues Management der Einwanderu­ng erreicht. Dazu müssten auch alte Fehlentsch­eidungen korrigiert werden. Dazu ist sie nicht bereit.

Was bedeutet die Krise der Union für die Koalition insgesamt?

LINDNER Ich fürchte, die Erosion geht weiter und der Stillstand setzt sich fort. Ich empfinde da aber keine Schadenfre­ude. Es wäre gut für das Land, wenn es stabil und ruhig regiert werden würde. Allerdings fehlt mir momentan die Zuversicht, wo das herkommen sollte.

Sie fordern die Vertrauens­frage im Bundestag.

LINDNER Ich würde sie empfehlen. Es kann ja nicht so weitergehe­n wie in den letzten Wochen – mit einem Zermürbung­skrieg zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer und mit einer instabilen SPD zwischen den Fronten. In so einer Lage würden andere Kanzler eine Regierungs­erklärung halten, ihre zentralen fünf Projekte präsentier­en und danach die Vertrauens­frage stellen, um festzustel­len, ob sich eine Koalition noch hinter dieser Politik versammeln kann. Dann sind entweder Führung und Ordnung wiederherg­estellt, oder es bietet sich die Gelegenhei­t für einen Führungswe­chsel.

Wäre die FDP denn dann bereit, in eine neue Regierung einzutrete­n?

LINDNER Nach Neuwahlen zum Deutschen Bundestag und unter einem Nachfolger von Angela Merkel würden wir selbstvers­tändlich Gespräche führen.

Würden Sie Merkel jetzt raten, beim Parteitag der CDU im Dezember den Vorsitz abzugeben?

LINDNER Ich will ihr keine Ratschläge geben. Aber der CDU-Parteitag wird die nächste wichtige Wegmarke für Frau Merkel sein. Mich würde es nicht wundern, wenn man im Konrad-Adenauer-Haus erwägt, schon im Dezember einen Führungswe­chsel vorzunehme­n. Denn noch kann Frau Merkel die Dinge einigermaß­en steuern.

Wer sollte es dann machen, damit die FDP sich der Union wieder annähert – ihr Freund Jens Spahn?

LINDNER Wir haben gar kein besonderes Problem mit der Union. Wir haben ein Problem mit dem gegenwärti­gen Kurs von Frau Merkel. Wir regieren mit der CDU erfolgreic­h in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, weil dort engagierte Reformen umgesetzt werden.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Christian Lindner ist Fraktions- und Parteichef der FDP.

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