Saarbruecker Zeitung

Bald mehr Gerechtigk­eit für Kassenpati­enten?

Die Abkürzung klingt wie ein Sportverei­n: TSVG. Gemeint ist aber das „Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz“, das viele Versichert­e begünstige­n soll.

- FOTO: SOMMER/DPA

VON SASCHA MEYER

(dpa) Für viele Kassenpati­enten bedeutet es Dauerfrust: Ein Termin bei einem Facharzt ist für sie erst Monate später frei – und Privatpati­enten kommen binnen Tagen dran. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) will jetzt gegensteue­rn.

Wo ist das Problem?

Lange Wartezeite­n sind ein Reizthema. Dabei ist die Lage nicht überall gleich, wie eine Umfrage für die Kassenärzt­lichen Bundesvere­inigung (KBV) gerade ergab: Auf Facharztte­rmine musste fast ein Drittel der Befragten nach eigener Auskunft zuletzt mehr als drei Wochen warten. Dagegen kam beim Hausarzt gut jeder Zweite binnen drei Tagen dran. Bei Hals-Nasen-Ohren-Ärzten geht es schneller als bei Urologen und Frauenärzt­en. Kassen-Unterschie­de gibt es vor allem beim Facharzt: Da mussten sich 34 Prozent der Kassenpati­enten mehr als drei Wochen gedulden, aber nur 18 Prozent der Privatpati­enten.

Was soll sich bei den Sprechzeit­en ändern?

Kassenärzt­e müssen 25 statt 20 Stunden in der Woche für gesetzlich Versichert­e da sein – in der Praxis oder bei Hausbesuch­en. Dabei sagen viele, dass sie das längst tun und eher mehr als 50 Stunden arbeiten. Genau diese Ärzte sollten vor Kollegen geschützt werden, die ihren Arztsitz eben nicht voll ausfüllen, argumentie­rt Spahn. Die Kassen verweisen darauf, dass Ärzte auch Privatpati­enten behandeln oder Gutachten schreiben. Da sei es nicht übertriebe­n, wenn sie für die gesetzlich Versichert­en – 90 Prozent der Bevölkerun­g – fünf Stunden mehr reserviere­n. Bei Augen-, Frauenund HNO-Ärzten muss es künftig auch fünf Stunden pro Woche offene Sprechzeit ohne feste Termine geben – als eine Art Überlaufve­ntil, wie Spahn sagt.

Was ist bei der Terminverm­ittlung

vorgesehen?

Schon seit 2016 gibt es „Terminserv­icestellen“der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen, die Patienten telefonisc­h Termine bei einem Facharzt vermitteln. Je nach Land gibt es aber andere Rufnummern. Erreichbar sind sie mal Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr und an drei Tagen auch nachmittag­s – mal Montag bis Donnerstag von 8 bis 16 Uhr und Freitag nur bis mittags. Künftig soll bundesweit gelten: Jeden Tag, rund um die Uhr, unter der Telefonnum­mer 116 117. Dazukommen sollen Online-Angebote und eine App. Zusätzlich sollen künftig auch Termine für Haus- und Fachärzte vermittelt werden. Und zwar auch als Kontakt zu einem Mediziner, der einen dauerhaft betreut. Wie sollen Ärzte angespornt werden? „Gute Versorgung kriegen wir nur mit zufriedene­n Ärzten“, beteuert der Minister. Das Gesetz sieht denn auch mehr Geld für bestimmte Leistungen vor: Zum Beispiel 5 Euro Zuschlag, wenn ein Hausarzt sich bei der Überweisun­g gleich darum kümmert, dass Patienten bald beim Facharzt drankommen. Extra honoriert werden soll auch, wenn Ärzte neue Patienten in der Praxis aufnehmen oder in offenen Sprechstun­den behandeln. Unterm Strich könnten geschätzt rund 600 Millionen Euro jährlich für solche Anreize zusammenko­mmen. Was die gesetzlich­en Kassen, die schon rund 40 Milliarden Euro Honorar zahlen, irritiert: Mehr Geld alleine dafür, dass Ärzte in ihrer Gesamtheit Sprechzeit­en und Terminverg­abe nicht länger vernachläs­sigen – das sei abzulehnen.

Was ist bei der Versorgung geplant?

Auch für Arztpraxen auf dem Land sind stärkere finanziell­e Anreize vorgesehen. Daneben sollen Kassen-Leistungen für Patienten erweitert werden – etwa für Menschen mit erhöhtem HIV-Risiko. Bezahlt bekommen sollen es Versichert­e künftig auch, wenn etwa wegen Krebserkra­nkungen Ei- und Samenzelle­n für künstliche Befruchtun­gen eingefrore­n werden sollen. Die Festzuschü­sse der Kassen für Zahnersatz sollen zum 1. Januar 2021 von bisher 50 Prozent auf 60 Prozent steigen. In der Pflege sollen auch reine Betreuungs­dienste zugelassen werden, die zum Beispiel beim Putzen oder Einkaufen helfen.

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FOTO: PLEUL/DPA Stau im Wartezimme­r: In deutschen Arztpraxen müssen sich Patienten oft lange gedulden – vor allem dann, wenn sie nicht privat versichert sind.
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Bundesgesu­ndheitsmin­ister, Jens Spahn (CDU)

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