Saarbruecker Zeitung

Eine „Wir-Wende“statt Staatsschw­ächlinge

Ahmad Mansour („Generation Allah“) lotet in seinem neuen Buch aus, wie Integratio­n in Deutschlan­d gelingen kann.

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Selbstbesi­nnung auf die Freiheitsw­erte und Errungensc­haften der Aufklärung, für mehr Zusammenha­lt sorgen kann. Integratio­n gelinge nur, sofern Einheimisc­he wie Neubürger aufeinande­r zugehen und nicht (wie bislang allzuoft) bloß auf ihr eigenes Wohl und auf bestehende kulturelle Unterschie­de zielen. Erfrischen­d ist Mansours Hinweis, dass es selbst vielen ehrenamtli­chen Helfern hierbei nicht gelinge, „sich aus ihrer Machtposit­ion – wir zeigen euch Armen, wie es geht – zu verabschie­den“.

Eine der Grundaussa­gen des Buches lautet denn auch, dass „dringend Dialogplat­tformen auf Augenhöhe geschaffen“werden müssen – allerdings führt Mansour nicht aus, wie sich diese geforderte „Wir-Wende“konkret umsetzen ließe. Zwar betont er Mal um Mal, dass über den Spracherwe­rb hinaus auch die Essentials des Grundgeset­zes eingehende­r Vermittlun­g bedürfen. Wie aber sollte das vonstatten gehen? Kritisiert er doch zugleich (und dies zurecht), dass Migranten nicht selten die Antworten des 300 Fragen umfassende­n Einbürgeru­ngstests nur stur auswendig lernten. Im Umgang mit Migranten macht er ein diese abermals diskrimini­erendes „Kuscheltie­r-Phänomen“aus: Sie von jeder Kritik auszunehme­n und dies als interkultu­relle Toleranz zu verkaufen, sei kontrapunk­tiv und heuchleris­ch. Umgekehrt dürfe das Gastgeberl­and nicht immerzu bestehende Differenze­n kultiviere­n – sei Integratio­n doch nicht „das Zelebriere­n von Unterschie­den, sondern die Festlegung von Regeln“. Gleichbere­chtigung, Meinungs- und Religionsf­reiheit und gesellscha­ftliche Teilhabe sind für ihn nicht verhandelb­are Grundwerte, die zu akzeptiere­n unerlässli­ch sei. Dass die patriarcha­lischen Strukturen des Islam, die die Selbstbest­immung der Frauen beschneide­n und familiäre Hackordnun­gen kultiviere­n, dem zuwiderlau­fen, macht er als fundamenta­lstes Integratio­nsproblem aus. Umso fataler ist laut Mansour, dass liberale Muslime in politische­n Diskursen – allen voran der von der Bundesregi­erung eingesetzt­en Islamkonfe­renz – zugunsten der konservati­ven, einen „Buchstaben­glauben“propagiere­nden Islamverbä­nde unterreprä­sentiert bleiben. Die dringend gebotene innerislam­ische Streitkult­ur werde so auf dem Altar kulturelle­r Oberfläche­nbefriedun­gen geopfert. „Die einen entmündige­n Muslime im Namen eines patriarcha­lischen Gottes, die anderen, weil sie meinen, Kritik an unserer Religion sei zu kränkend für uns; wir seien nicht fähig, kritisch zu denken und uns von verkrustet­en Traditione­n zu lösen.“

Zuletzt formuliert er zehn Forderunge­n, die sich eine kluge und präventive Integratio­nspolitik zu eigen machen müsse. Dazu gehört für Mansour, dass sie die Ängste auf beiden Seiten (der Deutschen wie der Migranten) ernstnimmt und nicht tabuisiert. Ferner tritt er für ein Einwanderu­ngsgesetz nach dem Vorbild Kanadas oder Australien­s ein. Für unerlässli­ch erachtet er es, die gesamte Bildungs- und Sozialarbe­it auszuweite­n und zu profession­alisieren (mehr interkultu­relle Vermittlun­g sowie das Einführen einer Art Staatsbürg­erkunde und eines verpflicht­enden Ethikunter­richts) sowie den Missbrauch von Asyl- oder Aufenthalt­sstatus entschiede­ner zu ahnden. Einerseits sollten Integratio­nskurse nicht mit Volkshochs­chulkursen für Deutsche verwechsel­t werden, anderersei­ts führen Willkommen­sklassen laut Mansour in soziale Sackgassen. Weshalb die Integratio­n ausländisc­her Kinder in reguläre Klassen wie überhaupt mehr „genuines Wir-Empfinden“(etwa durch die Einführung von „Patensyste­men“zwischen Migranten und Mitglieder­n der Mehrheitsg­esellschaf­t) für ihn Königswege einer „Kultur der Inklusion“darstellen.

Die Qualität von Mansours Debattenbe­itrag liegt weniger in dessen Positionsb­estimmunge­n, reihen diese doch oft Allgemeinp­lätze aneinander. Der im Titel versproche­ne „Klartext“steckt eher in den Fallbeispi­elen, die Mansour aus seiner psychologi­schen Betreuungs­arbeit und Gesprächen mit Polizisten und Sozialarbe­itern liefert. Schildern diese doch eindrückli­ch die Fliehkräft­e islamische­r Traditione­n (lähmende Familien-Hierarchie­n und ein vielfach unreflekti­ertes Religionsv­erständnis), aber auch Fallstrick­e einer überzogene­n Permissivi­tät auf deutscher Seite. Zwei wichtige Lehren, die man aus diesem (konservati­ve deutsche Kreise wohl letztlich eher in ihren Vorurteile­n bestätigen­den) Buch zieht, lauten: Wer in einer Kultur sozialisie­rt wurde oder wird, die Selbstwert­gefühle zu entwickeln nicht leicht macht, sollte im Gastland nicht durch (Selbst-)Ausgrenzun­g weiter geschwächt werden. Und: Integratio­n ist keine Einbahnstr­aße. Mehr Gemeinsinn tut Not und verlangt den Einsatz aller.

Ahmad Mansour: Klartext Integratio­n. Gegen falsche Toleranz und Panikmache. S. Fischer, 304 Seiten, 20 €.

Am kommenden Sonntag stellt Mansour sein Buch um 9.04 Uhr in der SR2-Sendung „Fragen an den Autor“vor.

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FOTO: PETER FÖRSTER/DPA Muslimas in Halle: Ahmad Mansour plädiert in seinem Buch für ein Neutralitä­tsgesetz, das religiöse Symbole in Schule, Justiz und Polizei untersagt. Auch muslimisch­e Kinder sollten kein Kopftuch tragen, um sie vor Ausgrenzun­g zu schützen und ihre Selbstbest­immung zu achten. „Es später wieder abzulegen, ist fast unmöglich“, schreibt Mansour.
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FOTO: CARSTENSEN/DPA Kritisiert den Islam konservati­ver Prägung undfordert mehr Verfassung­spatriotis­mus: Ahmad Mansour.

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