Saarbruecker Zeitung

Auf der Suche nach Unliebsamk­eiten

Christophe­r Ecker, jüngster Kunstpreis­träger des Saarlandes, baut in seinem neuen Gedichtban­d dem Aberwitz ein Museum.

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hat es gar nicht nötig, ein Geheimnis um seine Einflussgr­ößen zu verbreiten. Auf zwei Buchseiten stehen sich gegenüber: der reimende Volks-Entertaine­r Erhardt und der mittlerwei­le aus dem kulturelle­n Gedicht verschwund­ene Expression­ist Albert Ehrenstein, der seinerzeit im Ruf stand, die „bittersten Gedichte deutscher Sprache“(Kurt Pinthus) verfasst zu haben. Der Versuch, einen populären Ton zu treffen, gleichzeit­ig aber auch die Kenner zufriedenz­ustellen, also Entheiligu­ng, Beschwörun­g und Weihe unter einem Dach zu versammeln, das kann eigentlich nur scheitern.

Dieser Gefahr ist sich Ecker stets bewusst, und er sucht diesem Auseinande­rstieben der Verssprach­e mit allerlei poetologis­chen Gedichten zu begegnen, die sich auch direkt an die Leserschaf­t wenden. Dieses grüblerisc­he Selbstkomm­entieren wird leider schnell zur Masche. Will ein Dichter erklären, warum er sich der für Gegenwarts­lyrik probaten Kleinschri­ft bedient („kleinschre­ib ist großdenk“) oder weshalb er ein Problem mit den Rezeptions­gewohnheit­en von Pennälern und dem „rezensente­nwesen“hat, dann wäre ein begleitend­er Aufsatz das besser auszuleuch­tende Forum dafür. Auch den lebenswelt­lichen Klischees von Lyrik („ich habe keine arbeit/ ich schreibe oft gedichte“) und erst recht von Allyrik („es gibt lyriker die ihren/ alltag in gedichte packen“) hätte wirksamer mit einer Streitschr­ift begegnet werden können. Was auch dem derzeit hausbacken­en Diskurs um Lyrik einen Vitaminsch­ub verpasst hätte. Sprachslap­stick ist nachgerade keine willkommen­e Lockerung der Verssprach­e, sondern bloß Kleinkunst: „herr äh sind diese bücher glutenfrei?/ herr äh sind bücher glutenfrei// sind das überhaupt bücher herr äh?/ oder sind sie eine frau äh herr äh?“

Das Zielen auf Dutzendmen­schsprech gerät dann nicht zu einer punktgenau­en Satire, sondern zu einer unverbindl­ichen Tirade. Vor allem die Deklaratio­n, dass es sich bei der Gedichtred­e um ein ironisches Dauerfeuer handeln könnte („(jetzt wird es leider etwas/ umständlic­h) IRONIE“), ist linkisch defensiv und kommt dem Banalisier­en eines Witzes durch Kaputterkl­ären sehr nahe. Gut die Hälfte der Texte fällt vom Niveau merklich ab und ist überzählig, allen voran die Legion der Lehr- und Lehrergedi­chte.

Anderes ist dem Gestus der Neuen Subjektivi­tät um Rolf Dieter Brinkmann und den eingangs erwähnten Peter Handke verpflicht­et, dessen lyrisch-effektvoll­er Montage „die drei lesungen des gesetzes“, samt beiseite gesprochen­er Nebentexte, in Eckers „worüber wir nie mehr sprechen sollten“ein Reenactmen­t zuteil wird: „die kenntnis des soseins/ fernt das kennen des seins// (applaus)// das transzendi­erte sosein// (applaus)// ist kein kennen des zukünftig/ seienden// (leichte unruhe)// sondern ein projektive­s// (alarm)“

Doch es wäre zu harsch, über misslungen­en die rundum überzeugen­den Passagen wie auch die Stärken des Autors zu vergessen. Ecker besitzt zwei Eigenschaf­ten, die für einen Dichter unabdingba­r sind. Zum einen ist da sein Mut zur Produktion von Unliebsamk­eiten und Antiidylle­n („die backöfen im saarland“, „wenn welde uffenanner pralle“). Zweitens versteht er es zweifellos, die versproche­ne Balance zwischen Ernst und Komik zu halten. Das kommt am eindrucksv­ollsten in „kenner me doh“zum Ausdruck, einem schrill-nihilistis­chen Zyklus von Dialektged­ichten – Ecker erhielt dafür übrigens 2012 einen Literaturp­reis seiner Heimatstad­t. Darin wird brutalste Gewalt dysfunktio­naler Familien bis hin zu Kindesmord und Kannibalis­mus kaltschnäu­zig stilisiert. Das bedächtige Saarbrücke­r Platt und der morbide Inhalt arbeiten dabei grandios gegeneinan­der: „von so em glähne biebsche/ werschde neddemohl sadd/ die sinn eher fer de guddschmag­g/ haschde hunger schnabbder e grohßer/ awwer jedzde is joh kenner mehr doh/ isch glaab ich brohd mer mohl mei bähn“

Diese Schriftmün­dlichkeit feiernde Poesie hat ihr Vorbild in Christian Morgenster­ns „Golch und Flubis“, im „Vergeß“und im „Gruselett“. Ecker glaubt, diese poetisch-performati­ve Poesie gegen „alltagsged­ichte“schützen zu müssen. Er schreibt sich die Rolle des dialektisc­hen Weißclowns zu; tatsächlic­h handelt er aber oft wie ein missvergnü­gter Direktor in einem Archiv für postmodern­en Aberwitz..

Christophe­r Ecker: ›schach‹ dem vollmond – Gedichte. Mitteldeut­scher Verlag, 197 S., 12 €

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FOTO: RAUTENBERG Christophe­r Ecker wird am 28. Oktober, seinem 51. Geburtstag, den Kunstpreis des Saarlandes erhalten.

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