Saarbruecker Zeitung

Christiane F. – 40 Jahre danach

1978 rüttelte die Geschichte der heroinsüch­tigen Christiane F. die Republik auf. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“wurde ein Bestseller. Doch was ist eigentlich aus der jungen Frau von damals geworden? Eine Spurensuch­e.

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Trotz ihrer Leberzirrh­ose konsumiert sie Alkohol und Haschisch. Auch das Methadon macht ihr zu schaffen, das sie seit 20 Jahren in einem Drogenersa­tzprogramm bekommt. „Die einen lernen, damit zu leben, die anderen verrecken daran. Es ist ein schmaler Grat“, schreibt sie. Der Wirbel durch die neue Veröffentl­ichung zehrt schnell alle Kräfte auf. „Ich verabschie­de mich“, erklärt sie vier Monate später auf ihrer Webseite. „Ich bin eine kranke Frau Anfang 50.“

Seither hat sich Felscherin­ow nicht mehr in der Öffentlich­keit geäußert. Sogar mit engen Weggefährt­en etwa in der nach ihr benannten F-Foundation zur Suchtpräve­ntion gibt es immer wieder Funkstille. Und auch Kai Hermann, der damalige Autor der „Stern“-Serie, hat zwar noch Kontakt, aber nur sporadisch. „Ich bin nicht

Christiane Felscherin­ow befugt, öffentlich über ihr Leben zu reden“, sagte der 80-Jährige.

Der Starreport­er aus dem Wendland hatte den erschütter­nden Bericht der Christiane F. damals zusammen mit seinem Kollegen Horst Rieck niedergesc­hrieben. Und auch wenn Hermann Jahrzehnte für „Zeit“, „Spiegel“und „Stern“als politische­r Reporter in aller Welt unterwegs war, blieb er zeitlebens jungen Außenseite­rn verbunden. „Ich wollte immer auf der Seite derjenigen sein, auf deren Seite kein anderer war.“

Die Geschichte der „Kinder vom Bahnhof Zoo“machte vielen Deutschen Ende der siebziger Jahre erstmals bewusst, was sich mit Drogenhand­el, Kinderpros­titution und Fixerelend in den dunkelsten Ecken der Republik abspielte. Das gleichnami­ge „Stern“-Buch (ebenfalls 1978) verkaufte sich mehr als drei Millionen Mal und ist in rund 20 Sprachen übersetzt. In vielen Schulen gehört es bis heute zur Pflichtlek­türe. Für neues Aufsehen sorgte 1981, drei Jahre später, die Verfilmung durch Regisseur Uli Edel und Produzent Bernd Eichinger. So gnadenlos realistisc­he Bilder aus der Drogenszen­e waren bisher im Kino nicht zu sehen. Hauptdarst­ellerin Natja Brunckhors­t musste als Christiane F. etwa minutenlan­g die Kotzerei bei einem kalten Entzug spielen. Oder ihre Freier in Nahaufnahm­e befriedige­n.

Christiane F. hat sich zurückgezo­gen. Wie sehr sie heute noch unter den Folgen ihrer Erfahrunge­n leidet, weiß niemand. Fakt ist: Ihr Schicksal ist kein Einzelfall. Als „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“vor 40 Jahren erschien, registrier­ten die westdeutsc­hen Behörden 430 Drogentote, heute sind es bundesweit fast 1300 pro Jahr.

„Ich bin eine kranke

Frau Anfang 50.“

Vor fünf Jahren nach Veröffentl­ichung

ihrer Autobiogra­phie

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FOTO: DEDERT/DPA Vor fünf Jahren sprach die Autorin Christiane Felscherin­ow auf der Frankfurte­r Buchmesse über das Thema Sucht.

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