Saarbruecker Zeitung

Wie Forstexper­ten Zugausfäll­e verhindern

Die Bahn macht sich sturmsiche­r: Bäume, die bei Unwetter auf die Gleise stürzen könnten, sollen von Experten untersucht werden.

- VON KLAUS TSCHARNKE

(dpa) Schon die entlaubte Baumkrone macht Jürgen Harm misstrauis­ch. Aber erst der tiefe bodennahe Riss im Birkenstam­m gibt ihm Gewissheit: „Der Baum ist tot, der muss weg“, entscheide­t der 47 Jahre alte Diplomfors­twirt nach einem tiefen Stich mit seiner Baumsonde ins Stammholz. Und während gerade der ICE nach München auf dem nahen Gleis unweit des Nürnberger Ortsteils Katzwang vorbeiroll­t, greift Harm zur Farbsprayd­ose und markiert er den Birkenstam­m mit einem orangen „F“.

„F“steht für „fällen“. Und das sollte auch nach Einschätzu­ng von Harms Kollegen, Matthias Häckl, im Fall der Birke möglichst bald geschehen. Denn schweren Herbststür­men, wie sie schon in den nächsten Wochen übers Land fegen könnten, dürfte die tote Birke kaum gewachsen sein: „Der Baum hat eine Höhe von 20 bis 25 Metern – genug, um bei einem Sturz die erste Oberleitun­g, wahrschein­lich sogar noch die auf dem Parallelgl­eis, zu beschädige­n. Da geht dann auf der Strecke nichts mehr.“Und die ist mit weit mehr als 100 Personenzü­gen am Tag eines der Rückgrate des bayerische­n Nord-Süd-Bahnverkeh­rs.

Die beiden Forstexper­ten sind Teil eines mehr als 100-köpfigen Teams, dass die DB-Tochter DB-Fahrwegdie­nste angeheuert hat, um die Bahn „sturmsiche­rer“zu machen. Bis zu 150 Forstleute sollen künftig den Busch- und Baumbestan­d auch jenseits der sechs Meter breiten Rückschnit­tzone ins Visier nehmen. Elf Forstexper­ten sind allein in Bayern im Einsatz.

Denn erst das jüngste Sturmtief „Fabienne“, das am Wochenende durch weite Teile Deutschlan­d fegte, wirbelte den Bahnverkeh­r kräftig durcheinan­der: So waren viele Strecken in Bayern über das vergangene Wochenende gesperrt. Auch auf der Prestigest­recke München-Berlin, aber auch zwischen Mannheim, Frankfurt und Heidelberg gab es am Sonntag Unterbrech­ungen und Verspätung­en.

Die jüngsten Sturmschäd­en haben wie schon die 2017er Sturmtiefs „Xavier“und „Hervart“gezeigt, dass es oft schadhafte Bäume jenseits des Sechs-Meter-Schutzstre­ifens sind, die beim Sturz auf Gleise und Oberleitun­gen zu Streckensp­errungen zwingen. Allein das Sturmtief „Xavier“hatte nach Recherchen des Umweltinge­nieurs Nico Stürmann von der TU Braunschwe­ig zwischen dem 5. und 12. Oktober 2017 zu 4539 Zugausfäll­en und 466 Zugumleitu­ngen geführt.

Matthias Häckl

Dass die Wetterextr­eme für den Bahnverkeh­r immer mehr zum Problem werden, daraus macht auch die Bahn keinen Hehl. „Die Deutsche Bahn ist von den Auswirkung­en des Klimawande­ls so stark betroffen wie wohl kein anderes großes Unternehme­n in Deutschlan­d“, stellte die DB-Führung im Februar bei der Vorstellun­g einer Untersuchu­ng des Potsdamer Instituts für Klimafolge­nforschung (PIK) fest. Reagiert hat sie darauf inzwischen mit einer „Fünf-Punkte-Strategie“. Ein Punkt davon ist die Ausweitung des „Vegetation­smanagemen­ts“.

Im Klartext: Die angeheuert­en Forstleute sollen zunächst besonders gefährdete Streckenab­schnitte im Bahnnetz auf umsturzgef­ährdete Bäume hin untersuche­n. Dabei setzt das Staatsunte­rnehmen auch auf moderne Technik: Von sogenannte­n Bohrwiders­tandsmesse­rn bis zu Schall-Tomographe­n und Drohnen. Letztere sollen den Experten aus der Vogelpersp­ektive einen Blick auf die Baumbestän­de ermögliche­n, erläutert der Forstingen­ieur Häckl. Für ihn sind das allerdings nur unterstütz­ende Hilfsmitte­l. Den Blick des erfahrenen Forstmanne­s könnten sie nicht ersetzen.

Was Harm und Häckl bei ihren Einsätzen entlang kritischer Streckenab­schnitte ebenfalls feststellt­en: Der Klimawande­l sorgt nicht nur für häufigere Sturmtiefs, sondern belastet auch zunehmend den Waldbestan­d. „Die Baumbestän­de leiden unter den ständig heißen Sommern, und neue Krankheite­n treten auf.“Besonders betroffen seien Eschen, Kiefern und Birken.

Die verstärkte­n Bemühungen bei der Bahn in Sachen „Vegetation­smanagemen­t“sieht inzwischen auch der Fahrgastve­rband Pro Bahn. „Die Bahn hat erkannt, dass sie da in der Vergangenh­eit zu sehr gespart hat. Seit 2017 passiert da sehr viel“, räumt Pro Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann ein. Allerdings warnt er vor der Hoffnung auf rasche Erfolge: „Was die Bahn in vielen Jahren versäumt hat, kann sie auf die Schnelle nicht nachholen“. Da seien viele Genehmigun­gen einzuholen.

Denn etliche Risikobäum­e, so auch die Erfahrung des Forstexper­ten Harm, stünden auf Grundstück­en von Staats-, Kommunal- oder Privatfors­tbetrieben. Pro Bahn fordert daher ein bundesweit einheitlic­hes Regelwerk für die Abholzung sicherheit­skritische­r Baumbestän­de entlang stark befahrener Bahnstreck­en. Von Radikallös­ungen beim Abholzen hält Naumann aber nichts. Pro Bahn propagiert schon länger einen V-förmigen Naturkorri­dor entlang von Bahntrasse­n, der neben den Gleisen aus naturnahem Buschwerk besteht: „Das wäre ein Beitrag zum Insektensc­hutz. Auch Eidechsen, die Bahnschott­er zum Sonnen lieben, fänden darin Schutz.“

„Da geht dann auf der Strecke nichts mehr.“

Forstexper­te bei DB-Fahrwegdie­nste

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FOTO: DAVID YOUNG/DPA Auf einer Bahnstreck­e bei Düsseldorf liegt ein vom Sturm entwurzelt­er Baum auf Oberleitun­gen: Solche Situatione­n, die zu Zugausfäll­en führen, will die Bahn zukünftig durch den Einsatz von Forstexper­ten verhindern.

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