Die saarländische Polizei wird immer weiblicher
Diese These vertritt Oskar Lafontaine seit Jahren. Denn die Interessen der Mehrheit setzten sich in der Politik nicht durch. Ein Top-Forscher und ein Demoskop erklären, was sie von der These halten.
(kir) In der saarländischen Polizei beginnen immer mehr junge Frauen die dreijährige Ausbildung zum Kommissar. Unter den 128 Kommissar-Anwärtern, die gestern in Illingen vereidigt wurden, liegt der Frauenanteil bei 48 Prozent. Noch vor wenigen Jahren war nur etwa jeder fünfte Anwärter, der die Ausbildung mit Studium in Göttelborn aufnahm, weiblich.
Schon seit vielen Jahren gibt sich Oskar Lafontaine nicht mehr mit dem Klein-Klein der Landespolitik ab. Die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens, Demokratie, Ungleichheit oder die Frage von Krieg und Frieden interessieren ihn mehr als Spiegelstriche in Gesetzentwürfen oder Einzelpläne des Landeshaushalts. Der studierte Physiker kann griechische Denker oder Klassiker der Ökonomie ebenso referieren wie moderne Gesellschaftstheoretiker. In gewisser Weise ist er, obgleich von anderen Fraktionen gerne als „Weltökonom“verspottet, der letzte Universalgelehrte unter den 51 Abgeordneten.
Seit Jahren treibt Lafontaine besonders ein Thema um, das er in fast allen Interviews in der einen oder anderen Facette anspricht: Lafontaine glaubt, dass die Bundesrepublik keine Demokratie mehr ist. Seine These lautet: Die Demokratie ist eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Das sei aber bei Leiharbeit, Mindestlohn, Sozialleistungen oder Renten nicht der Fall. „Ich will, dass in der repräsentativen Demokratie endlich mal die Wünsche der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler umgesetzt werden“, sagte Lafontaine unlängst der SZ.
Es ist eine These, über die es sich nachzudenken lohnt, weil es plausibel erscheint, dass die Mehrheit gegen Leiharbeit und für höhere Sozialleistungen und Renten ist.
Wolfgang Merkel, der führende Demokratie-Forscher der Bundesrepublik, muss allerdings gar nicht nachdenken, als er auf Lafontaines These angesprochen wird. Merkel ist Direktor der Abteilung Demokratie am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und Politik-Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist SPD-Mitglied, aber der Meinung, dass seine Partei nach links rücken muss. Bei vielen Fragen, sagt Merkel, empfinde er Sympathie für Oskar Lafontaine.
Dennoch fällt Merkel ein klares Urteil: „Die These ist falsch.“Demokratie sei mehr als bloße Mehrheitsentscheidungen, Merkel betet die Dimensionen der Demokratie herunter, referiert über Volkssouveränität und den Rechtsstaat. In einer repräsentativen Demokratie könne auch nicht jeder Sachentscheidung „eine vermutete Mehrheit“in der Bevölkerung zugrunde gelegt werden. Die Bürger könnten Parteien ja abwählen, wenn sie Entscheidungen nicht gut fänden.
Das ist die Schwachstelle in Lafontaines Theorie: Wenn die Regierungen tatsächlich konsequent die Interessen der Mehrheit ignorieren, warum bekommt die Linke bei Wahlen dann nur zehn Prozent? Darauf hat Lafontaine keine Antwort. „Warum lassen sich die Leute das alles gefallen?“, fragte er einmal in einer Kundgebung der Saar-Linken. „Das ist die Frage, die mich beschäftigt.“
Demokratie-Forscher Merkel stellt auch infrage, dass die Mehrheit bei zentralen Fragen auf Lafontaines Linie ist. „Wo direkte Sachentscheidungen getroffen werden, würde Lafontaine aufjaulen“, sagt er. In der Schweiz gebe es bei Volksabstimmungen den Trend „Steuern runter und Staatsausgaben runter“.
Nico A. Siegel weiß, was die Mehrheit der Deutschen denkt. Der Politikwissenschaftler ist Geschäftsführer des Instituts Infratest dimap, das regelmäßig die Meinung der Bevölkerung erforscht, unter anderem für die ARD. Siegel sagt, Lafontaine täusche sich, wenn er davon ausgehe, dass für seine Positionen Mehrheiten im Volk bestehen, die nur aufgrund der wirtschaftlichen und der politischen Eliten „nicht den Gang durchs Nadelöhr der politischen Institutionen in Deutschland finden“.
Der Meinungsforscher zückt sein Smartphone und trägt die Ergebnisse des ZDF-„Politbarometers“vor. Die Mehrheit der Bevölkerung will die Haushaltsüberschüsse nicht für zusätzliche Ausgaben verwenden, sondern für Schuldenabbau und Steuersenkungen. Aber will die Mehrheit laut Lafontaine nicht höhere Sozialleistungen?
In fast allen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Fragen, erklärt Siegel, gehe es um Zielkonflikte. Die Deutschen hätten zwar gerne höhere Renten, seien aber gegen Steuererhöhungen oder Rentenbeiträge. „Die Deutschen hätten gerne einen Sozialstaat wie in Skandinavien und einen Steuerstaat wie in Großbritannien und den USA“, sagt Siegel. Heißt: Hohe Sozialausgaben, aber niedrige Steuern. Bei diesem Dilemma entscheide sich die Mehrheit der Deutschen für eine Position, die sich auch an den Wahlurnen regelmäßig durchsetze. Lafontaines Beispiele seien „immer selektiv und an der Einstellungsoberfläche“, sagt der Meinungsforscher.
Es wäre daher interessant, ein Land zu studieren, von dem Lafontaine sagt, dass sein Demokratie-Modell dort funktioniert. Doch dieses Land gibt es nicht. Als er in einem Interview danach gefragt wurde, fielen ihm nur „sogenannte Primitivkulturen“ein.