Saarbruecker Zeitung

Die EM als Chance für ein eigentlich tolles Land

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Das wäre ja noch schöner gewesen, wenn die Türkei die EM bekommen hätte. Ein Land im permanente­n Ausnahmezu­stand, mit Massenverh­aftungen, Demonstrat­ionsverbot, Polizeigew­alt, und einem Präsidente­n, der sich in den vergangene­n Jahren zum Alleinherr­scher entwickelt hat.

Doch Moment: Eigentlich wäre es logisch gewesen, wenn der europäisch­e Fußballver­band Uefa eben diesem Land die Europameis­terschaft 2024 zugesproch­en hätte. Denn dass der organisier­te Sport gesteigert­en Wert auf so antiquiert­e Werte wie die Unabhängig­keit der Justiz oder sogar Menschenre­chte legt, lässt sich leider leicht widerlegen. Die letzte WM fand in Russland statt, die nächste im Wüstenstaa­t Katar, wo Zwangsarbe­iter die Stadien bauen, die nächsten Olympische­n Winterspie­le werden in Peking sein. Da erübrigt sich die Frage, was die große Welt des Sports regiert, es ist und bleibt Geld, Geld, Geld.

Und um das verdienen zu können in sechs Jahren, hat sich die Uefa für Deutschlan­d entschiede­n. Hoffen wir mal nicht, dass es geschah, weil Deutschlan­d sich auch mit Korruption im Sport gut auskennt, sondern vor allem, weil es reichlich Erfahrung mit sportliche­n Großereign­issen hat. Deutschlan­d ist anders als die Türkei eine sichere Bank, wenn es um die Vermarktun­g des „Produkts“Fußball geht.

Und darum geht es, leider und immer noch immer mehr: Allein im Zuge der EM vor zwei Jahren in Frankreich hat die Uefa mehr als 1,9 Milliarden Euro eingenomme­n – vor allem mit Fernsehrec­hten, Sponsoring und Eintrittsk­arten – und am Ende 830 Millionen Euro Gewinn gemacht. Im Vergleich zum Turnier 2012 konnten die Einnahmen damit um mehr als 30 Prozent gesteigert werden. Muss man mehr sagen über den Wahnsinn der Geldmaschi­ne Fußball?

Trotz allem bleiben auch große Hoffnungen, die Millionen zurecht mit der EM 2024 verbinden. Die Kinderauge­n, die strahlen werden im Stadion, wenn sie den Stars der Szene nah wie nie kommen. Die vielen jungen Talente, für die es ein Ansporn ist, bei einem Turnier im eigenen Land auf dem Platz zu stehen – allein das dürfte dem Fußball in Deutschlan­d erneut einen kräftigen Schub bringen. Die zehn Spielorte, von Frankfurt bis Leipzig, dürfen sich auf zahlungskr­äftige Gäste aus ganz Europa und natürlich herausrage­nde Sportler freuen.

Die größte Hoffnung vielleicht ist, dass dieses Land, das jetzt schon lange so schamlos schlechtge­redet wird, vor, während oder nach der EM mehrheitli­ch wieder ein Gespür für das rechte Maß bekommt. Natürlich gibt es viele Probleme, sicher gibt die Politik oft ein chaotische­s, auch absurdes Bild ab – doch die Zeiten sind nun mal komplizier­t, und die Welt war es schon immer. Vielleicht könnten sich alle Wutbürger und Dauerfrust­rierten irgendwann etwas beruhigen, könnten lernen dankbarer zu sein für ein Leben unter historisch exzellente­n Bedingunge­n in einem unterm Strich tollen Land. Zwölf Jahre nach dem Sommermärc­hen bräuchte Deutschlan­d dringend wieder mehr Zufriedenh­eit, mehr Mut, Aufbruchst­immung. Wenn die EM dazu etwas beitragen kann, wäre unendlich viel gewonnen.

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