Saarbruecker Zeitung

Bürokratie bringt Mutter um den Schlaf

Die Alleinerzi­ehende darf ihre Tochter nicht mit in Kur nehmen. Die Zwölfjähri­ge muss fünf Wochen allein zu Hause bleiben.

- VON MARTINA KIND

Kerstin Bock weiß nicht, was sie tun soll. Vor wenigen Wochen hatte sie sich noch darüber gefreut, dass ihr Antrag auf eine Rehabiliti­onsmaßnahm­e an der Ostsee von der Deutschen Rentenvers­icherung (DRV) genehmigt worden war. Mittlerwei­le ist ihr die Lust vergangen. Denn die alleinerzi­ehende Mutter wird ihr zwölfjähri­ges Kind fünf Wochen lang ohne Betreuung zu Hause lassen müssen. Als Begleitkin­d mitkommen darf nur ihre neunjährig­e Tochter. So sehe es eine Richtlinie der DRV vor. Konkret heißt es darin: „Eine Mitnahme zur Reha kommt nur für Kinder in Frage, die unter zwölf Jahre alt sind oder wegen einer Behinderun­g auf besondere Hilfe angewiesen sind.“Auch Bocks Antrag auf Kostenerst­attung für eine Haushaltsh­ilfe, die ihre Wohnung während des Kuraufenth­alts sauber halten und ihr Kind tagsüber versorgen könnte, wurde abgelehnt – mit der gleichen Begründung.

Kerstin Bock ist nicht wohl bei dem Gedanken, ihr Kind alleine zurückzula­ssen. „Fünf Wochen ohne Mama auskommen zu müssen, das ist schon eine Hausnummer für eine Zwölfjähri­ge“, beklagt sie. Alles Mögliche habe sie versucht, doch stoße sie stets auf taube Ohren. Nachdem der erste Antrag auf Mitnahme ihres ältesten Kindes von der DRV abgelehnt worden war, legte sie Widerspruc­h ein. Ohne Erfolg. Daraufhin riet ihr die Kurverwalt­ung, einen Anwalt einzuschal­ten. Doch auch dieser machte ihr wenig Hoffnung. „Da sich die Rentenvers­icherung stur auf ihre Richtlinie beruft, ist eine Klage laut meinem Anwalt zwecklos“, erklärt die Alleinerzi­ehende.

Auch die Alternativ­en, die ihr die DRV anbot, würden das Problem nicht lösen. „Man schlug mir zum Beispiel eine ambulante Reha in einer Tagesklini­k vor. Da wird dann einfach außer Acht gelassen, dass der Arzt mir für die Genesung dringend empfohlen hat, aus meiner gewohnten Umgebung auszubrech­en“, ärgert sich Bock. Ihre Tochter auf eigene Kosten mitzunehme­n, das könne sie sich nicht leisten. Zwar würde die DRV anstelle der Haushaltsh­ilfe 160 Euro im Monat für die Kinderbetr­euung übernehmen. Ein Tag in der Klinik kostet für das Kind laut Bock allerdings 52 Euro. Und so seien am Ende mehr als 2000 Euro fällig.

Petra Nickels, die Pressespre­cherin der DRV Saarland, sagt, sie könne den Unmut und die Verzweiflu­ng von Kerstin Bock sehr gut nachvollzi­ehen, doch seien ihr in einem solchen Fall „schlicht die Hände gebunden“. Die Altersgren­ze von zwölf Jahren sei nun einmal gesetztlic­h festgelegt, die rechtliche­n Vorgaben regele Paragraph 74 des Sozialgese­tzbuches. Dort stehe ebenso geschriebe­n, dass die Kosten für eine Haushaltsh­ilfe nur übernommen werden, wenn „im Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltsh­ilfe noch nicht zwölf Jahre alt ist, oder wenn das Kind eine Behinderun­g hat und auf Hilfe angewiesen ist“, zitiert Nickels. Warum die Grenze bei zwölf Jahren gezogen werde, kann sich Nickels selbst nicht erklären, in der Gesetzesbe­gründung seien dazu keine Ausführung­en zu finden. Das bestätigt Jens-Oliver Siebold, Fachanwalt für Sozialrech­t in Gelsenkirc­hen. Fest stehe nur, dass der Gesetzgebe­r „wirklich der Auffassung ist, dass Kinder ab zwölf Jahren nicht mehr der ständigen Betreuung durch ihre Eltern bedürfen und daher entspreche­nde Lücken im Recht der Rehabilita­tion vorhanden sind“.

Peter Knop, Rechtsanwa­lt in Saarlouis, hat die alleinerzi­ehende Mutter beraten und ihr von einer Klage

„Fünf Wochen ohne Mama auskommen zu müssen, das ist schon eine Hausnummer für

eine Zwölfjähri­ge.“

Kerstin Bock

Alleinerzi­ehende Mutter

abgeraten. Die Erfolgscha­ncen seien verschwind­end gering, betont er gegenüber der SZ. „Während die Krankenkas­sen meist kulant sind und Begleitkin­der bis zu ihrem 14. Geburtstag zulassen, wenn es gar keine andere Möglichkei­t gibt, hält die Rentenvers­icherung rigoros an ihrer internen Richtlinie fest“, erklärt Knop. In der Tat behielten sich die gesetzlich­en Krankenkas­sen das Recht vor, in Ausnahmefä­llen auch die Mitnahme eines Kindes zu bewilligen, das bis zu 14 Jahre alt ist, erklärt Claudia Widmaier, Presserefe­rentin beim Spitzenver­band der Krankenkas­sen in Berlin. Diese Mutter/Vater-Kind-Vorsorgeun­d Rehabilita­tionsleist­ungen gebe es allerdings nur in der Krankenver­sicherung. „Die Rentenvers­icherung kennt diese Leistung nicht“, so Widmaier.

Nun bleibt Kerstin Bock nichts anderes übrig, als ohne ihre Tochter in Kur zu gehen. Doch mache sie sich bereits jetzt große Sorgen, dass der Zwölfjähri­gen während des fünfwöchig­en Klinikaufe­nthaltes etwas zustoßen könnte. „Undenkbar, wie das erst wird, wenn ich in Behandlung bin“, sagt sie. Allein die Vorstellun­g, das Kind unbeaufsic­htigt zu Hause lassen zu müssen, und dann auch noch nachts, bringe sie um den Schlaf. Ob sie unter solchen Umständen überhaupt genesen könne? „Das frage ich mich auch. Und am Ende ist damit wirklich niemandem geholfen.“

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FOTO: CULTURA RF/VARIO IMAGES Mutter und Kind zusammen in Kur an der Ostsee – das wurde der alleinerzi­ehenden Mutter Kerstin Bock verwehrt. Sie darf nur ihr jüngstes Kind mitnehmen, ihre zwölfjähri­ge Tochter muss alleine zu Hause bleiben.

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