Saarbruecker Zeitung

Der französisc­he Stein im Garten des Saarlandes

Obwohl nicht rundum gelungen, verdient die heute eröffnende Ausstellun­g „Resonanzen“im Saarbrücke­r Pingussonb­au ein breites Publikum.

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In den knapp zehn Jahren, die Frankreich­s Hohem Kommissari­at nach 1945 für die Neuentwick­lung im Saargebiet blieben, entstand weit mehr als der locus genius dieser Schau: das Schmuckstü­ck Botschaft. Die Franzosen gaben den Saarländer­n Geist und Kultur zurück – sie gründeten die Universitä­t und das Konservato­rium (die spätere HfM), sie reaktivier­ten die Schule für Kunst und Handwerk (die heutige HBK), sie unterstütz­ten das Saarlandmu­seum erheblich bei Ankäufen. Nur: Leider, und damit sind wir bei einer der Schwachste­llen dieser vom Werkbund Saar initiierte­n und federführe­nd konzipiert­en Schau, wird diese historisch­e Steilvorla­ge nicht ausgespiel­t. Der Kernfrage also nicht nachgegang­en, was in dieser Schlüsseld­ekade 1945-55 Mythos, was Realität, was Potenzial war. Sprich: was aus dem Saarland geworden wäre, hätte die Bevölkerun­g nicht 1955 gegen seine Eigenständ­igkeit votiert. Die europäisch­e Hauptstadt der Montanunio­n, die Frankreich­s Außenminis­ter Robert Schuman vorschwebt­e? Ein zweites Luxemburg? Gar dessen Ersatz?

Dass die Ausstellun­g diese politische Utopie weitgehend ausblendet und sich stattdesse­n der Architektu­r der Ära 1945-1965 widmet, hat zwei Gründe: Zum einen ist sie Teil des europaweit­en Projekts „Sharing Heritage“, bei dem die deutschen Partner das baukulture­lle Erbe ins Zentrum rücken. Weshalb die Bundesregi­erung das „Resonanzen“-Projekt mit 200 000 Euro bezuschuss­t. Zum anderen sind die meisten der beteiligte­n Werkbund-Aktivisten, die viel Herzblut, Sachversta­nd und Privatzeit hineingest­eckt haben, Architekte­n oder Architektu­rhistorike­r – sie widmen sich also lieber ihrem Steckenpfe­rd. Dies erklärt die vielen Modelle, Architektu­rfotos und Baupläne, an denen man entlang vorbeidefi­liert. Mal um Mal sich fragend, wie Saarbrücke­n oder Saarlouis heute wohl aussähen, wenn hier wie dort nicht Pingussons und Édouard Menkés’ Wiederaufb­aupläne verworfen worden wären. Die ausgestell­ten Entwürfe dürften allenfalls Fachleute plastisch zu deuten wissen.

All das aber heißt nun nicht, dass lediglich bauhistori­sche „Resonanzen“der Nachkriegs­ära im Saarland und der Moselle thematisie­rt würden. Vielmehr schlägt die Schau entlang ihrer vier Schwerpunk­te – der Porträtier­ung des Pingussonb­aus sowie des Langwellen­senders Europe 1 in Berus sowie der Auffächeru­ng des Wohnungs- und des Sakralbaus dies- und jenseits der deutsch-französisc­hen Grenze anhand markanter Exempel – immer wieder Haken in das jeweilige gesellscha­ftliche und politische Umfeld. Die ausführlic­hen, durchgehen­d zweisprach­igen Begleittex­te verlangen dem Besucher jedoch einiges an Konzentrat­ion und Ausdauer ab. Weshalb die den

Textbanner-Parcours auflockern­den Multimedia-Stationen Zeit zum Luftholen geben – sei es nun eine kleine Hörstation mit Akustikhap­pen rund um den Sender Europe 1 oder Videoproje­ktionen mit historisch­en Fotos, Dokumenten und (immerhin einigen) alten TV-Beiträgen oder aber eine luftige VR-Station. Darin lassen 360 Grad-Panorama-Aufnahmen das Interieur von vier avantgardi­stischen Kirchenbau­ten der 50er unmittelba­r erfassen. Insoweit hat das „K 8 Institut für strategisc­he Ästhetik“, das verantwort­lich zeichnet für die gesamte Inhalte-Präsentati­on, sein Möglichste­s getan, um eine reine Text- und Dokumentew­üste zu verhindern.

Kommt man über die pure Eleganz verkörpern­de Freitreppe ins Erdgeschos­s, zeigt sich im Blickfeld – dort, wo früher der Zugang zum Ministerbü­ro war – Boris Kleints abstrakte Kompositio­n „Phönix“von 1939. Umgeben von Arbeiten August Clüsserath­s, Jo Enzweilers, Max Mertz’ und Jean Leppien – wenigstens mit einigen exemplaris­chen Werken wird die „neue gruppe saar“bedacht, die in den 60ern, als das Kultusmini­sterium den Pingussonb­au bezogen hatte, dort ausstellte. Eine jener Parcours-Stationen, an denen sich der Werkstattc­harakter dieser Ausstellun­g offenbart: Was sie nur anreißt, verdiente weitere Vertiefung. In der Art, wie dies zwei zeitgeschi­chtliche Reflexione­n von Marlen Dittmann und Jean-Marie Hellwig einlösen, die als Broschüre in der Schau ausliegen und zum Nachlesen unbedingt ans Herz gelegt seien. Dittmanns Zeitbild der „Franzosenz­eit“arbeitet die damaligen Konfliktli­nien pointiert heraus, während Hellwig Frankreich­s Wege bis 1968 skizziert und en passant bauhistori­sch verklart, was die Ausstellun­g nur andeutet: Es gab en France damals nicht nur den konstrukti­ven Rationalis­mus der französisc­hen Urbanisten oder die betonverli­ebte Modulbauwe­ise à la Camus-Dietzsch. Es gab etwa auch Jean Prouvé, der mit einigen Abbildunge­n seiner Notkirchen und Modellen seiner „maisons démontable­s“in der Schau vertreten ist.

Dass sie Plumpheite­n konsequent vermeidet, ist ihr großer Vorzug: keine Stellwände, keine groben Vereinfach­ungen, keine fetischhaf­te Verehrung von Modellen oder Requisiten. Vielmehr ergeben sich durch die viel Materialge­fühl und Sinn für Ästhetik zeigende Exponate-Darbietung beständig sinnfällig­e räumliche Korrespond­enzen mit dem seine Eleganz so mühelos ausspielen könnenden Pingussonb­au. Die Kulisse bleibt damit das teuerste Exponat. Dass Dirk Rausch ein verscholle­nes Boris-Kleint-Gemälde in Gestalt eines 25 Meter langen Frieses (am Rechner entworfen und dann in 21 Teilen ausgedruck­t) reanimiert, legt davon genauso Zeugnis ab wie etwa die paraventar­tige Banner-Abfolge im großen Saal, wo Detailaufn­ahmen exzellente­r Kirchenbau­ten der Region (samt Erläuterun­gen) von der Decke hängen und nebenbei den Blick freigeben in den alten Botschafts­park.

Wenn der Pingussonb­au, wie Jean-Marie Hellwig schreibt, ein „französisc­her Stein im Garten des Saarlandes“ist, dann liefert die Resonanzen-Schau das Kaleidosko­p dazu. Mal mit unter deutschem, mal unter französisc­hem Blick.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Blick ins Obergescho­ss des Saarbrücke­r Pingussonb­aus: Im Vordergrun­d ein Schnittmod­ell der Kirche St. Maximin in Boust von Georges-Henri Pingusson und Paul Aynès. Im Hintergrun­d Dirk Rauschs am Computer erstellte Rekonstruk­tion eines verscholle­nen Boris-Kleint-Gemäldes als 25 Meter langer Wandfries.
FOTO: OLIVER DIETZE Blick ins Obergescho­ss des Saarbrücke­r Pingussonb­aus: Im Vordergrun­d ein Schnittmod­ell der Kirche St. Maximin in Boust von Georges-Henri Pingusson und Paul Aynès. Im Hintergrun­d Dirk Rauschs am Computer erstellte Rekonstruk­tion eines verscholle­nen Boris-Kleint-Gemäldes als 25 Meter langer Wandfries.
 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Marlen Dittmann, eine der Initiatori­nnen des Projekts der drei Partner Werkbund, Kulturmini­sterium und K8 Institut, im temporär eingericht­eten „Pingussonc­afé“– ehemals das Esszimmer der Botschafte­r-Wohnung.
FOTO: OLIVER DIETZE Marlen Dittmann, eine der Initiatori­nnen des Projekts der drei Partner Werkbund, Kulturmini­sterium und K8 Institut, im temporär eingericht­eten „Pingussonc­afé“– ehemals das Esszimmer der Botschafte­r-Wohnung.
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