Saarbruecker Zeitung

Merkels Suche nach Koalitions-Frieden

Wochenlang taumelte die schwarz-rote Regierung von Krise zu Krise. Bringt der heutige Koalitions­ausschuss die Wende?

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(dpa) Gern beteuern Politiker von Union und SPD, wie sehr die große Koalition an Verbesseru­ngen für den Alltag vieler Bürger arbeite – bei Pflege, Rente, Wohnen. Doch der Dauerzank in der Regierung hat bisher fast alles überdeckt, wie selbst Minister schon kopfschütt­elnd registrier­ten. Nun setzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf ein wichtiges Kümmer-Thema, um die viel beschworen­e Rückkehr zur Sacharbeit zu beweisen: Beim Treffen der Koalitions­spitzen an diesem Montag soll ein Paket mit konkreten neuen Angeboten her, um Millionen Diesel-Besitzer vor Fahrverbot­en in deutschen Städten zu bewahren.

Für Merkel geht es im 14. Jahr ihrer Kanzlersch­aft um nicht weniger als eine Art Neustart aus kritischer Lage. Da war der nahezu unendliche Flüchtling­sstreit und dann die wochenlang­e Regierungs­krise um die Ablösung von Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen – und um den erst im zweiten Anlauf gefundenen Kompromiss, dass er doch nicht (weg)befördert wird. Die Empörung veranlasst­e Merkel zu einer seltenen Geste des Bedauerns. Dann folgte die unerwartet­e Abwahl ihres langjährig­en Vertrauten Volker Kauder (CDU) vom Vorsitz der Unionsfrak­tion gegen ihren erklärten Wunsch. Merkel gestand ihre Niederlage ein. Doch welche Folgen hat das Beben noch?

Schnell bemühte Merkel sich, wieder Ruhe ins Spiel zu bringen. Sie ließ erkennen, dass sie beim CDU-Parteitag im Dezember wieder als Vorsitzend­e kandidiere­n will. Und entgegnete allen Mutmaßunge­n: „Ich sitze hier ganz quickleben­dig und gedenke, meine Arbeit weiter zu tun.“Tatsächlic­h geht es nun zuallerers­t darum, wieder in einen Normalmodu­s des Regierens zu finden – nach dem Staatsbesu­ch des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan geht es am Mittwoch zu deutsch-israelisch­en Regierungs­konsultati­onen nach Jerusalem.

Am gestrigen Sonntag reiste Merkel aber erst mal nach Bayern, ins idyllische Benediktin­erkloster Ottobeuren. Ein Termin ganz nach ihrem Geschmack. Klassische Musik und ein Herzensthe­ma: Europas Zukunft. Vor dem Kloster holt sie kurz die Kritik ein – auf dem Marktplatz skandieren einige AfD-Anhänger etwas von „Volksverra­t“, ihnen stehen linke Gegendemon­stranten gegenüber, dazwischen Polizei.

Anders als bei der Bundestags­wahl 2017 in Bayern spielt die Kanzlerin in der laufenden CSU-Kampagne für die Landtagswa­hl keine Rolle. Die Zahl der Merkel-Anhänger in der CSU ist sehr überschaub­ar geworden. Einer der wenigen ist Theo Waigel. Er ist es auch, der sie an diesem sonnigen Tag eingeladen hat. Und der Ex-Bundesfina­nzminister versucht gleich zu Beginn seiner

Angela Merkel Rede, den Dauerstrei­t zwischen CSU und CDU zu relativier­en: Der derzeitige Umgang der Schwesterp­arteien sei im Vergleich zum historisch­en Kreuther-Trennungsb­eschluss der CSU von 1976 unter Franz Josef Strauß „geradezu liebevoll“, betont er.

Konkreter wird Waigel nicht, doch in der aktuellen Gemengelag­e hätte das vermutlich auch keinen großen Einfluss. Denn hier nimmt die sich anbahnende historisch­e CSU-Pleite bei der Landtagswa­hl am 14. Oktober jeglichen Raum ein. In der CSU wird – wie nach der Bundestags­wahl-Schlappe – die Flüchtling­skrise von 2015 als Erklärung genannt.

Und die Kanzlerin? Gibt sich pragmatisc­h wie immer und findet zugleich in ihrer durch und durch proeuropäi­schen Rede auch Worte, die in Bayern, in der CSU, gut ankommen: Nur eine Verwurzelu­ng in der eigenen Heimat ermögliche Weltoffenh­eit. Zugleich ermuntert sie die Deutschen, ihre Religionsf­reiheit mehr auszuleben: „Es ist nicht verboten, sich zum Christentu­m zu bekennen.“Merkel weiß, dass die Beziehunge­n zwischen ihr und der CSU fragil sind – und Folgewirku­ngen des Bayernwahl-Ergebnisse­s auf Berlin hochgradig unberechen­bar.

Beim Koalitions­gipfel soll es heute erstmal konkret um die Sache gehen. In den jetzigen Umständen sind Lösungen beim Diesel, die Merkel schon länger für diese Tage angekündig­t hat, aber wieder zum Test für die Handlungsf­ähigkeit der Koalition geworden. Außerdem soll vor den Wahlen in Bayern und im schwarz-grün regierten Hessen ein Negativthe­ma abgeräumt werden. Gerade Hessens CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier macht – wie die SPD in Merkels Kabinett – Druck für Umbauten an Motoren älterer Diesel. Denn kürzlich hat ein Gericht für Frankfurt am Main Fahrverbot­e ab 2019 angeordnet. Merkel, die lange gegen Hardware-Nachrüstun­gen eintrat, öffnete sich daraufhin dafür. Kommen sollen auch neue Kaufprämie­n, damit mehr alte Diesel durch neue sauberere Wagen ersetzt werden.

Eine Einigung erschwert dabei, dass sie nicht allein in der Hand der Politik liegt. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) und eventuell auch Bundeskanz­lerin Merkel müssen die Hersteller zum Mitmachen bewegen – vor allem mit zusätzlich­em Geld. Eine Bewährungs­probe wird das Treffen auch für ein neues CDU-Gespann. Statt wie lange gewohnt mit Kauder geht die Kanzlerin mit dem neuen Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus in die Runde, der als Maxime ausgegeben hat, zwischen ihn Merkel passe „kein Blatt Papier“.

„Ich sitze hier ganz quickleben­dig und gedenke, meine Arbeit

weiter zu tun.“

Bundeskanz­lerin

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel besuchte gestern mit Ex-Finanzmini­ster Theo Waigel, dessen Frau Irene Epple-Waigel und dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (rechts) die Basilika der Benediktin­er-Abtei in Ottobeuren. Hier gab es klassische Musik.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel besuchte gestern mit Ex-Finanzmini­ster Theo Waigel, dessen Frau Irene Epple-Waigel und dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (rechts) die Basilika der Benediktin­er-Abtei in Ottobeuren. Hier gab es klassische Musik.

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