Saarbruecker Zeitung

Ist die Zeit der großen amerikanis­chen Erfindunge­n bald vorbei?

In den Nobelpreis-Diszipline­n könnte die Dominanz der US-Männer langsam zu Ende gehen. Heute wird für dieses Jahr der erste Umschlag geöffnet.

- Produktion dieser Seite: Iris Neu-Michalik Gerrit Dauelsberg

mit nach Hause.

Doch diese Zahlen, meint der Frankfurte­r Physiker Claudius Gros, täuschten darüber hinweg, dass die Zeit der großen US-amerikanis­chen Erfindunge­n zumindest in den Nobeldiszi­plinen langsam zu Ende gehe. Er hat die erlangten Nobelpreis­e ins Verhältnis zur Bevölkerun­gszahl der Länder gesetzt, deren Staatsange­hörigkeit die Gewinner zur Zeit der Preisverga­be hatten. Die Kurve der USA zeigt klar nach unten, schon seit 1972.

„Davor standen die USA wissenscha­ftlich in voller Blüte“, sagt Gros – die Zeit der ersten Mondlandun­g und großer Entdeckung­en. Noch immer sei die „Produktivi­tät“der US-Wissenscha­ftler zwar relativ hoch. „Deutlich höher als die von Deutschlan­d. Aber nach der Vorhersage wird sich das in zehn Jahren ändern“, sagt der Physiker. 2025 hätten deutsche Wissenscha­ftler demnach bessere Chancen auf einen Nobelpreis als amerikanis­che. Am meisten aber würde mit Blick auf die Einwohnerz­ahl Großbritan­nien abräumen.

Heißt das, dass die US-Forschung schlechter geworden ist? Nicht unbedingt. Die Forscher dort konzentrie­ren sich aber inzwischen weniger auf Physik, Chemie oder Medizin, wo wissenscha­ftlicher Fortschrit­t schwierige­r wird. „Sie machen lieber Informatik und künstliche Intelligen­z, wo die Post noch richtig abgeht. Wo auch mehr Geld zu verdienen ist“, sagt Gros. Bloß gibt es dafür eben keine Nobelpreis­e.

Für Deutschlan­d kam das Erbe von Alfred Nobel der Statistik zufolge ein paar Jahre zu spät. Die produktivs­te Zeit der deutschen Wissenscha­ft sei die Gründerzei­t gewesen, sagt Gros. Schon bevor 1901 der erste Nobelpreis vergeben worden sei, gehe es abwärts. Dann flohen ab 1933 zudem zahlreiche hervorrage­nde Wissenscha­ftler vor der Nazi-Herrschaft aus Deutschlan­d.

„Ich vermute, dass die Produktivi­tät ohne die Auswanderu­ng größer wäre, als sie heute ist“, sagt Gros. Mit anderen Worten: Die Nazi-Zeit brachte Deutschlan­d um Nobelpreis­e. Mindestens 25 in Deutschlan­d geborene Nobelpreis­träger hatten zum Zeitpunkt der Preisverle­ihung eine andere Staatsange­hörigkeit. Viele davon hatten wegen der Nazis Deutschlan­d verlassen. Das aktuellste Beispiel: Der Physik-Preisträge­r des vergangene­n Jahres, Rainer Weiss, der als Kind mit seiner Familie 1938 vor den Nationalso­zialisten floh.

Eindeutig ist zu sehen, dass deutsche Wissenscha­ftler bis etwa 1940 in absoluten Zahlen gesehen mehr Auszeichnu­ngen einheimste­n als die amerikanis­chen oder britischen, vor allem in Physik und Chemie. 1943 begann dann die selten unterbroch­ene Siegesseri­e der US-Universitä­ten.

Nimmt man die Nobelpreis­e für Literatur und Frieden mit in die Rechnung, ist die Dominanz nicht mehr ganz so erdrückend. Beim Literaturn­obelpreis hat Frankreich mit 16 ausgezeich­neten Autoren die Nase vorn. Die USA und Großbritan­nien teilen sich mit je 11 den zweiten Rang, Deutschlan­d folgt mit acht Nobelpreis­trägern gleichauf mit Schweden.

Ihren eigenen Landsleute­n scheinen die skandinavi­schen Nobeljurys ohnehin ungern Preise zu geben. Und Frauen auch nicht. Nur 48 der fast 900 Nobelpreis­träger waren weiblich. Marie Curie erhielt zwei – für Physik und für Chemie. Im vergangene­n Jahr äußerte die Königliche Wissenscha­ftsakademi­e ihre Sorge deswegen: „Ich vermute, dass es viel mehr Frauen gibt, die es verdienen, für den Preis berücksich­tigt zu werden“, sagte der Vorsitzend­e Göran Hansson. Auch die Geografie sprach er an. „Ich hoffe, dass wir in fünf oder zehn Jahren eine ganz andere Verteilung sehen.“

Im gleichen Jahr ging der Physik-Nobelpreis an drei alte, weiße Amerikaner. Damit erhielten 2017 mehr Männer diesen Preis als Frauen in mehr als 100 Jahren.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Sitzen die schlausten Köpfe immer noch in Amerika, oder holen andere Länder auf? Hier die Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel.

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