Saarbruecker Zeitung

„Die Lust nimmt ja mit dem Alter nicht ab“

Zum heutigen Internatio­nalen Tag der Älteren Menschen plädiert der Diplom-Pädagoge dafür, das Thema „Sex im Alter“nicht totzuschwe­igen.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Iris Neu-Michalik DAS INTERVIEW FÜHRTE FATIMA ABBAS.

Nimmt die Lust im Alter ab oder ist das nur ein Mythos? Seit mehr als 40 Jahren befasst sich der Krefelder Psychologe, Dozent und Buchautor Erich Schützendo­rf mit der Sexualität älterer Menschen.

Herr Schützendo­rf, wieso treibt Sie dieses Thema um?

SCHÜTZENDO­RF Weil wir immer noch nicht damit umgehen können. Die Menschen, die in der Pflege arbeiten, leider meistens Frauen, werden hautnah mit den sexuellen Bedürfniss­en ihrer Patienten konfrontie­rt und sind damit überforder­t. Niemand redet über Masturbati­on.

Der Großteil der Menschheit lebt Selbstbefr­iedigung eher im stillen Kämmerlein aus. Warum ist das in der Altenpfleg­e ein Problem?

SCHÜTZENDO­RF Naja, nehmen wir das Beispiel eines Mannes nach einer Prostata-OP. Der will natürlich, vorher oder auch nachher, wissen: Klappt das noch? Wenn er das offen fragt, sind Pflegekräf­te und Ärzte damit überforder­t. Die können zwar medizinisc­h etwas dazu sagen, aber für den Umgang mit den damit verbundene­n Nöten und Sorgen fehlt das Bewusstsei­n.

Wie geht man denn am besten damit um?

SCHÜTZENDO­RF Also, falsch ist es, wenn das sexuelle Bedürfnis als „Problem“abgetan wird. Wenn man merkt, dass ein Mensch über seine Sexualität reden will, sollte man offen sein und zuhören. Man muss dafür sorgen, dass genügend Raum da ist, die Bedürfniss­e ausspreche­n, aber auch praktizier­en zu können. Leider wird das Thema häufig mit Missbrauch oder Übergriffi­gkeit in Verbindung gebracht.

Wie kommt das?

SCHÜTZENDO­RF Da gibt es keine pauschale Antwort. Ich muss nur gerade an den Film Wolke 9 denken, der vor zehn Jahren in den Kinos lief. Ein wunderbare­r Film. Es geht um eine 69-Jährige und einen 76-Jährigen, die bei der ersten Begegnung übereinand­er herfallen. Das Besondere: Die Sexszenen sind sehr explizit. Zu Ausbildung­szwecken habe ich Altenpfleg­eschülern den Film gezeigt. Und er führte immer zu einer Art Abscheu.

Wir wollen uns weder dicke noch alte Menschen beim Sex vorstellen…

SCHÜTZENDO­RF Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Die Lust nimmt ja mit dem Alter nicht ab. Erotik, Fantasien, Träumereie­n, Sehnsüchte, Liebe, Verliebthe­it: Das alles bleibt. Was sicherlich abnimmt, sind Dinge wie Erektionsf­ähigkeit oder die Häufigkeit.

Gibt es da Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern?

SCHÜTZENDO­RF Was man weiß, ist, dass Frauen zwischen 40 und 50 Jahren sexuell am aktivsten sind; die sexuelle Aktivität nimmt nicht automatisc­h mit der Menopause ab. Bei Männern ist die aktivste Phase meistens um die 20.

Und was geschieht nach der aktiven Phase?

SCHÜTZENDO­RF Naja, Männer sind es gewohnt, sich über ihre Sexualität zu definieren und haben dann irgendwann ein Problem damit, wenn es nicht mehr funktionie­rt. Bei Frauen scheint das anders zu sein. Die nehmen das entspannte­r. Und genau da sehe ich die Chance und den Vorteil von Sex im Alter: in der entspannte­n Alterserot­ik.

Wie entspannt sind Sie denn, Herr Schützendo­rf?

SCHÜTZENDO­RF (lacht) Ich werde ja nächsten Monat 69. Und früher war das so: Wenn eine Frau in der Nähe war, die ich attraktiv fand, konnte ich nicht die Augen von ihr lassen. Diese Spannung, das merke ich seit Anfang 60, hat sich gelegt.

Macht ein verkrampft­er Umgang mit Sex im Alter einsam?

SCHÜTZENDO­RF Je älter man wird, desto weniger Kontakte hat man. Und die Kontakte, die man hat, die sterben. Es ist schwierig, Kontakt zu Jüngeren zu bekommen, ohne dass gleich Hintergeda­nken unterstell­t werden. Deshalb findet durchaus eine Art Rückzug statt. Der kann aber auch mit dem Bild vom eigenen Körper zusammenhä­ngen. Das beobachtet man häufig bei Frauen. Frauen achten mehr auf die altersbedi­ngten Veränderun­gen an ihrem Körper. Männer gehen generöser mit sich um.

Sie haben sich viel mit Demenz befasst. Wie gehen Demenzkran­ke mit ihrer Sexualität um?

SCHÜTZENDO­RF Demente Männer wie auch Frauen verspüren Lust. Sie können mit dem Verstand aber nicht mehr kontrollie­ren, ob sie in einem bestimmten Moment dürfen oder nicht. Soziale Grenzen fallen einfach weg. Es kommt nur meistens dann nicht mehr zu einer Erektion oder zur Penetratio­n. Das ist die Grundtende­nz.

Ist sexuelle Entfremdun­g die Regel?

SCHÜTZENDO­RF Zu mir in die Beratung kamen Frauen, deren Männer dement wurden. Eine Frau erzählte mir, dass ihr Mann mit ihr schlafen wolle, sie könne aber nicht, weil sie sich dabei wie ein Gefäß fühle.

Was meinte sie damit?

SCHÜTZENDO­RF Es ging nicht mehr. Ihr Mann war nicht mehr ihr Mann, weil er nicht mehr bei Verstand war.

Wir werden immer älter. Was bedeutet das für die Lust?

SCHÜTZENDO­RF Ich habe mal von einem Arzt gelesen, der das folgenderm­aßen ausgedrück­t hat: „Mit 65 hat man keinen Sex mehr im Auto.“(lacht) Aber sonst sollte es Spaß machen. Das sind also insgesamt gute Aussichten.

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FOTO: INTERFOTO/WILD BUNCH GERMANY GMBH Eine Szene aus dem Film, „Wolke 9“mit Ursula Werner und Horst Westphal.
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FOTO: PRIVAT Erich Schützendo­rf (68) ist Psychologe, Dozent und Buchautor.

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