Saarbruecker Zeitung

Warum Pfleger nachts allein arbeiten müssen

In den meisten saarländis­chen Kliniken sind Pflegekräf­te nachts allein auf ihrer Station. „Das gefährdet Menschenle­ben“, warnt Verdi.

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Zwei Beispiele aus Nachtschic­hten, wie sie Pflegekräf­te unserer Zeitung jüngst geschilder­t haben: Auf einer Station muss ein bettlägeri­ger Patient alle paar Stunden umgelagert werden. Doch die einzige Pflegekraf­t, die in der Nacht auf der Station Dienst hat, ist dafür zu schwach – der Patient muss liegen bleiben. Ein anderer Pfleger muss sich nachts allein um mehrere frisch operierte Patienten kümmern: Einer ist verwirrt und muss ständig daran gehindert werden, aus

Ein Pfleger seinem Bett aufzustehe­n, während ein anderer Patient andauernd abgesaugt werden muss, weil er sonst zu ersticken droht. „Man springt von einem Bett zum anderen“, sagt der Pfleger. Irgendetwa­s bleibe immer auf der Strecke.

Nach einer Erhebung der Gewerkscha­ft Verdi sind in Deutschlan­ds Kliniken fast zwei Drittel der Pflegekräf­te nachts allein auf ihrer Station. Im Durchschni­tt betreuen sie 26 Patienten. 60 Prozent der Befragten gaben bei der Umfrage an, in den letzten vier Wochen nachts eine gefährlich­e Situation erlebt zu haben, die mit mehr Personal vermeidbar gewesen wäre. Ohne zweite Pflegekraf­t, so schildern es Pflegekräf­te, sei es nicht einmal möglich, die gesetzlich vorgeschri­ebenen Pausen einzuhalte­n – und sei es nicht unverantwo­rtlich, nachts allein die Tabletten für die Patienten zu richten?

„Das gefährdet Menschenle­ben“, sagt Verdi-Sekretär Michael Quetting. Gefährdet würden nicht nur Patienten, sondern auch Pflegekräf­te. Man stelle sich nur einmal vor, sagt Quetting, eine junge Schwester sei nachts allein auf einer Station, auf der auch ein starker, drogenabhä­ngiger Mann liegt.

Die Forderung „Keine Nacht allein“hat Verdi bisher in einem Krankenhau­s durchgeset­zt: bei den SHG-Kliniken Völklingen, im Frühjahr 2018. Es war angeblich das erste Krankenhau­s bundesweit, bei dem „Keine Nacht allein“gilt. Ähnliches ist nun auch am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg geplant. Die UKS-Spitze hat Verdi kürzlich zugesicher­t, dass es „für fast alle Stationen nachts eine Besetzung mit mindestens zwei examiniert­en Fachpflege­kräften“geben soll. Ausgenomme­n sollen nur kleine Stationen sein, wobei laut Verdi noch strittig ist, wann eine Station klein ist. Dies soll nun am 9. Oktober geklärt werden. „Das ist ein sensibles Thema, weil es mit Emotionen belegt ist“, sagt Quetting.

Die übrigen Krankenhäu­ser tun sich bislang schwer mit der Forderung. Zwar sieht man grundsätzl­ich die Notwendigk­eit, dass sich Arbeitsbed­ingungen auch nachts verbessern müssen. „Wir unterschei­den uns in unseren Forderunge­n nur unwesentli­ch von Verdi“, gab SHG-Chef Alfons Vogtel bei der Unterzeich­nung der Vereinbaru­ng mit Verdi zu Protokoll. „Für uns kommt allerdings hinzu, dass wir das Gewünschte auch finanziere­n müssen.“In Völklingen war der Aufwand begrenzt, weil es vor der Vereinbaru­ng mit Verdi ohnehin nur eine Station gab, auf der nachts eine Krankensch­wester allein war.

In anderen Krankenhäu­sern sieht das anders aus. „Der Slogan ‚Keine Nacht allein‘ ist zwar griffig und prägnant“, sagt Thomas Jakobs, Geschäftsf­ührer der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft. In allen Diskussion­en zu Personalun­tergrenzen für die Tag- und die Nachtschic­hten sei aber deutlich geworden, dass man die Stationen in den Krankenhäu­sern kaum miteinande­r vergleiche­n könne – wegen ihrer unterschie­dlichen Strukturen, der unterschie­dlichen Belegung, was Zahl der Patienten und Schwere der Erkrankung betrifft, und der sehr verschiede­nartigen baulichen Gegebenhei­ten.

In jedem Krankenhau­s werde schon heute versucht, eine vernünftig­e und bezahlbare Lösung umzusetzen, die das Pflegepers­onal entlaste, sagt Jakobs. Die Krankenhau­sträger und Direktorie­n der Kliniken nähmen die Sorgen und Anregungen ihrer Mitarbeite­r sehr ernst und bemühten sich um angemessen­e Lösungen. Unabhängig davon belaste derzeit aber jede zusätzlich­e Kraft in einer Schicht das Budget des Krankenhau­ses, weil die Krankenkas­sen für die erhöhten Personalko­sten nicht aufkämen.

Die Gewerkscha­ft Verdi hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „Wir hoffen, dass durch bessere Arbeitsbed­ingungen in Homburg Druck entsteht“, sagt Michael Quetting. „Wir geben nicht auf, die Bewegung geht weiter.“Die Krankenhau­s-Chefs hoffen auf das Jahr 2020, wenn endlich alle Pflegepers­onalkosten zu hundert Prozent abrechenba­r sein sollen – und darauf, dass den Kliniken das zusätzlich­e Geld nicht an anderer Stelle wieder weggenomme­n wird.

„Man springt von einem

Bett zum anderen.“

über seine Nachtschic­hten

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FOTO: DANIEL BOCKWOLDT/DPA Allein auf weiter Flur: In vielen Krankenhäu­sern müssen Pfleger und Krankensch­western den Nachtdiens­t alleine stemmen. Im Schnitt müssen sie sich dabei um 26 Patienten alleine kümmern.

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