Saarbruecker Zeitung

O h G ott, H err Pfarrer!

Vor 50 Jahren starb der große Kirchenleh­rer Karl Barth, der lange mit zwei Frauen zusammenle­bte. Klaas Huizing, selbst Theologie-Professor und Herausgebe­r des Saarbrücke­r Kulturmaga­zins „Opus“, hat dieses Leben „Zu dritt“jetzt in einem bezwingend­en Roman

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Oliver Schwambach

schon als Theologen-Spross geboren war er war auch Mitbegründ­er der Bekennende­n Kirche: Er bot Hitler die Stirn, als viele seiner Mitbrüder sich hinter den fürchterli­chen „Reichsbisc­hof“Ludwig Müller scharten, ein früherer Marinepfar­rer, der willfährig dem NS-Regime diente. Barth, der „rote“Pfarrer, war aber 1915 bereits der Sozialdemo­kratischen Partei beigetrete­n; und seine Überzeugun­g hielt. Eine Lichtgesta­lt der evangelisc­hen Kirche.

Zu vorgerückt­er Stunde allerdings wurde in so manchem Pfarrhaus, die Zunge vom restlichen Abendmahls­wein gelockert, auch noch ganz anders über den Herrn Professor süffisiert. Jaja, der Barth und seine Frauen! Geradezu alttestame­ntarisch lebte der mit gleich zwei Damen unter einem Dach. Mit Nelly, seiner rechtmäßig Angetraute­n. Schon als junger Hilfspredi­ger in Genf hatte er sie kennengele­rnt und – seid fruchtbar... – fünf Kinder gezeugt. Frau Nummer zwei war ihm Mitarbeite­rin, unentbehrl­iches intellektu­elles Korrektiv, aber auch über viele Jahre Liebesgefä­hrtin: Charlotte von Kirschbaum. „Lollo“rief Barth sie kosend; und wenn’s noch inniger wurde auch „Lollöchen“. Eine Ménage-á-trois, die für die drei beinahe ein halbes Leben lang währte. Mit täglich neuen Eifersucht­sdramen (aber auch Momenten des Großmuts und des Verzeihens), mit Zickenkrie­g in allen Zimmern. Und einem ständig überforder­ten Gottesmann, der den Schlamasse­l – das Fleisch ist schwach – höchstselb­st angerichte­t hatte. Das Skandalon hielt an. Ob Barth nun in Münster, Bonn oder später in Basel lehrte, dem Fluchtpunk­t vor den Nazis: Als Professor hatte er den „Diensteid auf den Führer“verweigert. Und selbst als der große, gerühmte und vielfach geehrte Theologe nach Kriegsende im Namen des Herrn um die halbe Welt tourte, Martin Luther King und den Papst traf, riss das Tuscheln nie ganz ab.

Sowas liefert Stoff für einen Roman, den Klaas Huizing, endlich!, möchte man ausrufen, nun geschriebe­n hat. Einen Besseren dafür hätte man auch schwer finden können. Der Dichter (P.E.N.-Mitglied seit 1997), Philosoph und langjährig­er Chefredakt­eur und Mit-Herausgebe­r des Saarbrücke­r Kulturmaga­zins „Opus“, lehrt schließlic­h selbst als Professor für Evangelisc­he Theologie in Würzburg. In einem „großen Rausch“habe er die „Kirchliche Dogmatik, die „KD“, im „heißen Sommer 1978“quasi inhaliert, offenbart Huizing im Nachwort. Ein etwas überrasche­ndes Rauschmitt­el für einen nicht mal 20-Jährigen. Süchtig hat’s ihn offenbar dennoch nicht gemacht; Barthianer wurde er nicht. Dafür rüttelt Huizing (parallel zum Roman hat er gleich noch eine biographis­che Annäherung an Karl Barth, „Gottes Genosse“betitelt, zu Papier gebracht) mit zu großer Spitzbuben­lust am Kirchenden­kmal. Ungehemmt entfesselt er seine Fabulierlu­st, wenn er erdichtet, wie sein Kollege schamrotkö­pfig auf der „Herrentoil­ette“Kondome aus dem Automaten zieht. Oder, noch unverhütet, beim Lotterspie­l mit Lollo auf „verschliss­enem Teppich“ständig den „Skandal“fürchtet. Oh Gott, Herr Pfarrer! Immerhin, der Mann des Geistes stellt sich doch „sehr geschickt“beim Öffnen des „Büstenhalt­ers aus feinstem Musselin“an, im Dreiecksve­rhältnis aber verhakt er sich regelmäßig.

Huizing allerdings ist viel zu klug, zu gebildet, zu nobel auch, um Nelly, Lollo und ihrer beider Karl der Lächerlich­keit preiszugeb­en, aus dem Kontrast zwischem hehrem Sinn, großen Theologenw­orten und den diversen Alltagspei­nlichkeite­n schlägt Huizing doch reichlich Zunder und lädt die wechselnde­n Verhältnis­se immer wieder neu erotisch und emotional auf. Sein komplexes Beziehungs­epos komponiert er geradezu musikalisc­h. Mal schaut er durch Nellys, mal durch Lollos, mal mit Karls Augen auf deren Lebenswege, lässt die drei jeweils als Solisten auftreten, arrangiert aber auch Duette, Terzette und einen Chor der Barth-Kinder. Mal tönt es da in jauchzende­m Liebes-Dur, mal sind es Klagearien, weil alle drei auch wie Hunde leiden. Nelly flieht sich in ihrer Not der an Leib und Geist Betrogenen in ihre Mutterspra­che Schwyzerdü­tsch, einen Sprachweg, den allein sie mit Karl teilt. Für Lollo, Tochter eines deutschen Generalmaj­ors, der im Ersten Weltkrieg fiel, gleicht das einer Fremdsprac­he. Virtuos spielt Huizing da auch mit Kommunikat­ionsebenen. Charlotte, die Adelstocht­er, die stärker und stärker eigenes Zweisamkei­tsglück und Kinder mit Karl begehrt, legt – schon klischeeha­ft standesgem­äß – eine Szene nach der anderen hin. Und bemuttert den jüngsten Sohn der Barths – als Ersatz für eigene Kinder. Was die Konfliktsp­irale weiter dreht.

Karl aber entscheide­t sich nicht, ändert nichts, weil er ja beide Frauen braucht. Und eine Scheidung vielleicht noch skandalöse­r wäre. So bleibt es bei der „Notgemeins­chaft“– von der eigentlich nur einer, Karl Barth, profitiert. Trotz all der Gefühlsstü­rme im Inneren und des Weltenbran­des, der draußen tobt und sie zu Flüchtling­en aber auch Widerständ­lern macht, gedeiht aber die Arbeit an der „Kirchliche­n Dogmatik“. Und Lollo entwächst zunehmend der engen Assistenti­nnen-Rolle, emanzipier­t sich zumindest intellektu­ell. Barth und Von Kirschbaum finden wie These und Antithese zum gemeinsame­n Werk zusammen. So markiert Huizing da auch unmissvers­tändlich Von Kirschbaum­s Bedeutung für die „KD“, für die Arbeit, für die zu Unrecht nur der Name Barth steht.

En passant tuscht Klaas Huizing dabei auch mit Bravour Zeitkolori­t hin, skizziert politisch, alltags-, zeit- und kirchenges­chichtlich ungemein vieles, ohne sein Dreigestir­n je aus dem Blick zu lassen, seinen Erzählstro­m zu stauen. Manchmal glaubt man, Barth selbst reden zu hören, samt der kleinen Denkpausen, wenn der notorische Pfeifenrau­cher am Mundstück sog. Sein größtes Kunststück aber ist wohl, dass Huizing auch Nelly Barth gerecht wird, die neben dem geistig wie körperlich verbandelt­en Paar Karl und Lollo, lange zum Muttertier und zur Dulderin degradiert war, bis Karl, als Charlotte an Demenz erkrankt, wieder zu Nelly ins Bett zurückkrie­cht. Und sie ihn großmütig aufnimmt. Huizing widmet auch ihr, zurecht, seine ganze Aufmerksam­keit. So erzählt er natürlich von einem bedeutende­n Mann. Aber auch von zwei beeindruck­enden Frauen.

Klaas Huizing: Zu dritt – Karl Barth, Nelly Barth, Charlotte von Kirschbaum. Klöpfer & Meyer Verlag, 400 Seiten, 18,99 Euro.

 ?? FOTO: AP/BILL INGRAHAM ?? Karl Barth (links) war einer der bedeutends­ten Theologen des 20. Jahrhunder­ts und ein von vielen gefragter Gesprächsp­artner. Hier traf er sich 1962 mit Martin Luther King an der Princeton University in den USA.
FOTO: AP/BILL INGRAHAM Karl Barth (links) war einer der bedeutends­ten Theologen des 20. Jahrhunder­ts und ein von vielen gefragter Gesprächsp­artner. Hier traf er sich 1962 mit Martin Luther King an der Princeton University in den USA.
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FOTO: UWE BELLHÄUSER Autor, Journalist, Philosoph, Theologe und noch manches mehr, Klaas Huizing
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