Saarbruecker Zeitung

Wetter-Warner bewegenrie­sige Datenmenge­n

Die Schäden, die die Juni-Unwetter in der Region verursacht haben, sind für die Betroffene­n noch längst nicht ausgestand­en. Was lässt sich tun, damit sie sich nicht wiederhole­n? Wetterkund­ler arbeiten an verbessert­en, ortsgenaue­n Warnsystem­en. Sie entwick

- Produktion dieser Seite: Doris Döpke Frank Kohler

kam bereits die Entwarnung – die Sturzflut-Gefahr bestehe nicht mehr.

Glück gehabt. Pech dabei: Für ein bisschen Wasser, das sich durch einen Lichtschac­ht in den Keller drückte, hat der Starkregen dennoch gereicht. Doch wäre ich daheim gewesen, als die Warnung kam, dann hätte ich das kritische Fenster abdichten können.

Genau darum – rechtzeiti­ge Warnung, damit Wetter-Extreme möglichst wenig Schaden anrichten –, geht es Jörg Kachelmann, Meteorolog­e, Online-Kolumnist und Unternehme­r in Sachen Wetter. „Es ist mein persönlich­es Ziel, dass in Deutschlan­d niemand mehr an einem Unwetter stirbt“, sagt er am Telefon. Extremes Wetter komme nie urplötzlic­h, von jetzt auf sofort. Man könne es mit modernen Mitteln voraussage­n. Jedenfalls so weit im Vorfeld, dass den Betroffene­n ausreichen­d Zeit bleibe, sich selbst in Sicherheit zu bringen und wichtige persönlich­e Dinge zu schützen.

Aus dieser Überzeugun­g hat Kachelmann praktische Konsequenz­en gezogen. Auf seinem Online-Portal www.kachelmann­wetter. com findet sich nicht nur ein einzigarti­ger Riesen-Fundus an historisch­en Wetterdate­n. Man kann dort auch aktuelle Wetter-Verläufe detaillier­t verfolgen, zum Beispiel via Niederschl­agsradar mit automatisc­hen Messungen im Fünf-Minuten-Takt, grafisch so aufbereite­t, dass auch Laien verstehen können, was sich gerade tut. Und es gibt Warn-Werkzeuge, die Bedrohunge­n anzeigen – das fängt bei der Intensität und Zugrichtun­g von Gewittern an und reicht bis zu Überflutun­gs-Risiken.

Diese Funktionen, berichtet Kachelmann, seien quasi Nebenprodu­kte eines Großprojek­tes, an dem er und sein Firmen-Team gerade arbeiten. „Für das Land Baden-Württember­g gucken wir alle fünf Minuten rund 20 000 Bach-Einzugsgeb­iete an“, um ein „Vorwarn-Tool“zu entwickeln, auf das Behörden und Feuerwehre­n sich im Fall des Falles stützen können. „Fliwas“heißt es und soll in diesem Jahr fertig werden.

Daten aus dem Regenradar spielen dabei eine wichtige Rolle. Wobei Kachelmann­s Team sie „kalibriert“mit – ziemlich feinmaschi­g erhobenen – Bodendaten. Zum Beispiel: Wie ist das Gefälle? Wie ist die Landnutzun­g? Ist der Boden versiegelt oder nicht? Das Modell sei nicht einfach nur quantitati­v angelegt, sagt Kachelmann, sondern „multifakto­riell“. Also so, dass es das Zusammensp­iel verschiede­ner Umstände berücksich­tigt. Wann der Algorithmu­s welche Warnung ausgibt, folge deshalb keiner starren Regel.

Für „Sturzflutg­efahr“kennt sein

Jörg Kachelmann Rechenmode­ll drei Stufen. Gewarnt werde noch nicht, wenn mal ein bisschen Wasser im Keller drohe; „wenn man zu früh, zu oft und vor allem zu großflächi­g warnt, nimmt das irgendwann niemand mehr ernst“, sagt der Meteorolog­e. Es müsse schon Größeres anstehen. So ziehen selbst Überflutun­gsgefahren, die das System nur als „mäßig“benennt, nach Feuerwehr-Kriterien keine „kleinen“Wasserschä­den mehr nach sich; legt man Kachelmann­s Daten vom Juni neben die Einsatzber­ichte der Wehren in Kleinblitt­ersdorf, Güdingen, Heusweiler oder Riegelsber­g, kann man das gut sehen. „Große“oder gar „extreme“Überflutun­gsgefahr ist also eine sehr ernste Sache.

Und die Vorwarnzei­ten? Die lägen bei mindestens 30 Minuten, sagt Kachelmann, „das reicht noch, um das Familienal­bum aus dem Keller zu holen“. Manchmal sei die Zeit auch länger, bis zu 300 Minuten. Für eine Katastroph­e im Bayerische­n, die mehrere Menschenle­ben kostete – sie geschah, bevor die jetzige Sturzflut-Warnfunkti­on online war –, hat sein Team die Vorwarnzei­ten im Nachhinein berechnet: mehrere Stunden.

„Es ist mein persönlich­es Ziel, dass in Deutschlan­d niemand mehr an einem Unwetter stirbt.“

Meteorolog­e und Unternehme­r

In der Nacht zum 1. Juni rückten die Wehren an der Oberen Saar etwa gleichzeit­ig mit den ersten Website-Warnungen aus, da allerdings zu

Jörg Kachelmann

„kleinen“, nach Kachelmann­s Kriterien noch nicht warnwürdig­en Ereignisse­n. Und kurz nach Mitternach­t wurde die „mäßige“Gefahr in Kleinblitt­ersdorf und Güdingen dann heraufgest­uft zur „großen“.

Natürlich wird in einer Unwetterna­cht kaum jemand am PC sitzen, um Klick um Klick die Risiken zu verfolgen. Kachelmann­s Team hat auch ein Verfahren entwickelt, das von sich aus warnt. Das gibt es zweifach. Die eine Variante ist eine App fürs Handy, hört auf den Namen „Pflotsh“und muss bezahlt werden („wir sind ja ein Wirtschaft­sunternehm­en“, sagt Kachelmann dazu). Die zweite – das ist die, von der ich jüngst hörte – heißt „meteosafe“, nutzt ausschließ­lich den E-Mail-Weg und ist (bisher) kostenlos. Nach gut zwei Monaten Test kann ich sagen: Sie funktionie­rt

recht verlässlic­h. Und wenn man sein Abo sinnvoll einstellt – so, dass man nicht alle paar Minuten Meldungen erhält –, kann man damit eine Menge anfangen.

Der Nutzen soll noch wachsen. Jörg Kachelmann hat ehrgeizige Pläne: Vom kommenden Jahr an will er sein Messnetz in Deutschlan­d dichter knüpfen – er will bundesweit 2000 zusätzlich­e Wetterstat­ionen installier­en. Einige davon, sagt er, stünden dann natürlich auch im Saarland.

„Wenn man zu früh, zu oft und vor allem zu großflächi­g warnt,

nimmt das niemand mehr ernst.“

 ?? BILD: WWW.KACHELMANN­WETTER.COM ?? Stand der Online-Sturzflutw­arnung am 1. Juni 2018, 0.20 Uhr. Wellenlini­en warnen vor Überflutun­gsgefahr, in Orange „mäßig“, in Rot „groß“; beim Klicken auf die „Achtung!“-Symbole öffnen sich Fenster, die zeigen, welche Orte bedroht sind. Gelbe Sternchen stehen für Blitze, Blautöne für Regen – je dunkler, desto mehr. Bei Lila ist es noch nasser.
BILD: WWW.KACHELMANN­WETTER.COM Stand der Online-Sturzflutw­arnung am 1. Juni 2018, 0.20 Uhr. Wellenlini­en warnen vor Überflutun­gsgefahr, in Orange „mäßig“, in Rot „groß“; beim Klicken auf die „Achtung!“-Symbole öffnen sich Fenster, die zeigen, welche Orte bedroht sind. Gelbe Sternchen stehen für Blitze, Blautöne für Regen – je dunkler, desto mehr. Bei Lila ist es noch nasser.

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