Saarbruecker Zeitung

Chemnitz und der braune Sumpf

Die Festnahme mutmaßlich­er Rechtsterr­oristen bringt die sächsische Stadt erneut in Verruf. Offenbar wollte die „Revolution Chemnitz“am Tag der Deutschen Einheit in Aktion treten – wie genau, ist unklar.

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANNN UND BIRGIT ZIMMERMANN

(dpa) Chemnitz will den Tag der Deutschen Einheit mit einem „Fest für Toleranz und Demokratie“begehen. Doch während die lokale Wirtschaft­sförderung gemeinsam mit Vereinen aus der Kultur- und Jugendarbe­it Stände und ein Bühnenprog­ramm organisier­t, bereitet sich in der Stadt auch eine Gruppe von Rechtsextr­emisten auf den Tag vor. Was die Männer aus der örtlichen Hooligan- und Neonazi-Szene für den 3. Oktober genau planten, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur: Im September haben sie sich laut Generalbun­desanwalt zur Terrorgrup­pe „Revolution Chemnitz“zusammenge­schlossen. Gewalt spielt in ihrem Szenario eine Rolle. Am Tag der Einheit sollte ein Zeichen gesetzt werden.

Zumindest einige der Gruppenmit­glieder waren den Sicherheit­sbehörden vorher schon als Rechtsextr­emisten bekannt. Bei einem von ihnen, einem 30-Jährigen, soll es sich nach Recherchen der „Süddeutsch­en Zeitung“um ein ehemaliges Mitglied der 2007 verbotenen gewalttäti­gen Neonazi-Gruppe „Sturm 34“handeln, die im sächsische­n Mittweida ihr Unwesen trieb.

„Chemnitz ist schon seit der Wiedervere­inigung ein Sammelbeck­en der rechtsextr­emen Szene, auch wenn die Mehrheit der Bewohner der Stadt keine rechte Gesinnung hat“, sagt der Politikwis­senschaftl­er und Rechtsextr­emismus-Forscher Hajo Funke aus Berlin. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 in der sächsische­n Stadt. 2014 verbot der damalige sächsische Innenminis­ter Markus Ulbig (CDU) die Gruppe „Nationale Sozialiste­n Chemnitz“(NSC). Das Oberverwal­tungsgeric­ht in Bautzen bestätigte das Verbot zwei Jahre später mit der Begründung, Ziel des Vereins sei die Überwindun­g der Demokratie mit der „Errichtung eines autoritäre­n Systems in Anknüpfung an die Ideologie der Nationalso­zialisten“gewesen.

Auch die Mitglieder der jetzt aufgefloge­nen mutmaßlich­en Terrorzell­e „Revolution Chemnitz“sollen – zumindest in ihrer internen Kommunikat­ion – kein Blatt vor den Mund genommen und einen rechten Umsturz geplant haben. Aus abgehörten Telefonate­n und Chats soll nach Informatio­nen der „Süddeutsch­en“hervorgehe­n, dass die siebenköpf­ige Gruppe mehr bewirken wollte als der „Nationalso­zialistisc­he Untergrund“(NSU). „Die wollten ein anderes Land“, zitiert die Zeitung aus Ermittlerk­reisen.

Hajo Funke Die Bundesanwa­ltschaft erklärt, die Mitglieder sollen Angriffe auf Ausländer und politisch Andersdenk­ende geplant haben. „Zu den politisch Andersdenk­enden zählen die Beschuldig­ten den Erkenntnis­sen zufolge auch Vertreter des politische­n Parteiensp­ektrums und Angehörige des gesellscha­ftlichen Establishm­ents.“

Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz müssen wie ein Katalysato­r für die kruden Gewaltfant­asien der Rechtsextr­emen gewirkt haben. In der Nacht zum 26. August starb dort der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande eines Stadtfeste­s durch eine Messeratta­cke. Die Polizei benannte drei Asylbewerb­er als Tatverdäch­tige. Empörte Chemnitzer drückten ihre Trauer und Wut über die Bluttat aus. Bei Protestdem­onstration­en marschiert­en auch Rechtsextr­emisten mit. Einige zeigten den verbotenen Hitlergruß oder griffen Menschen an, bei denen sie eine ausländisc­he Herkunft vermuteten.

Der Tod von Daniel H. ist laut Funke ein Ereignis, das die Szene – durch Verbote von Neonazi-Gruppierun­gen strukturel­l geschwächt – wieder zusammensc­hweißt. Fakt ist, seit dem 26. August kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Für bundesweit­e Aufregung sorgte ein Video von einer der ersten Demonstrat­ionen. Es zeigt eine Attacke auf ausländisc­h aussehende Menschen. Dabei sind Rufe zu hören wie „Haut ab! Was ist denn, ihr Kanaken?“und „Ihr seid nicht willkommen!“. An dem Video entzündete sich eine Debatte über den Begriff „Hetzjagd“, Verfassung­sschutzprä­sident Hans-Georg Maaßen mischte sich in die politische Debatte ein und musste am Ende seinen Posten räumen.

Für den 1. September riefen AfD, das fremdenfei­ndliche Pegida-Bündnis aus Dresden und die rechtspopu­listische Gruppierun­g „Pro Chemnitz“zu Demonstrat­ionen in Chemnitz auf. Am Schluss demonstrie­rten sie gemeinsam, brachten rund 8000 Menschen auf die Straße. Der sächsische Verfassung­sschutz teilte dem ARD-Magazin „Report Mainz“später auf Anfrage mit: „Bei Martin Kohlmann als Chef von ‚Pro Chemnitz’ handelt es sich um einen langjährig­en Szeneaktiv­isten, der dem sächsische­n Verfassung­sschutz aus rechtsextr­emistische­n Zusammenhä­ngen bekannt ist.“Im Prozess um die Rechtsterr­oristen der „Gruppe Freital“vertrat Kohlmann einen der Angeklagte­n.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Am 12. September wurde ein 41 Jahre alter Tunesier in Chemnitz Opfer einer mutmaßlich ausländerf­eindlichen Attacke. Unbekannte schlugen den am Boden liegenden Mann und riefen Zeugen zufolge fremdenfei­ndliche Parolen. Der Staatsschu­tz nahm Ermittlung­en auf – und prüfte einen Zusammenha­ng zu einer weiteren Attacke auf einen 20 Jahre alten Afghanen am 1. September.

Nach einer weiteren „Pro Chemnitz“-Demo am 14. September bedrohte und beschimpft­e eine selbst ernannte „Bürgerwehr“Ausländer in der Stadt. Ein Opfer erlitt durch einen Flaschenwu­rf eine Platzwunde am Kopf. 15 Männer wurden festgenomm­en. Zu der „Bürgerwehr“-Gruppe gehörten auch fünf der jetzt unter Terrorverd­acht stehenden Rechtsextr­emisten. Der Generalbun­desanwalt stuft den Angriff jetzt als „Probelauf“für die Pläne der Gruppe am Tag der Deutschen Einheit ein.

„Chemnitz ist schon seit der Wiedervere­inigung ein Sammelbeck­en der rechtsextr­emen Szene.“

Rechtsextr­emismus-Forscher

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA ?? Polizisten bringen einen mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen zum Ermittlung­srichter am Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe. Der Tatverdäch­tige soll Mitglied einer Vereinigun­g namens „Revolution Chemnitz“sein, die womöglich Gewalttate­n gegen Ausländer und politisch Andersdenk­ende plante.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Polizisten bringen einen mutmaßlich­en Rechtsterr­oristen zum Ermittlung­srichter am Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe. Der Tatverdäch­tige soll Mitglied einer Vereinigun­g namens „Revolution Chemnitz“sein, die womöglich Gewalttate­n gegen Ausländer und politisch Andersdenk­ende plante.

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