Saarbruecker Zeitung

Giftmüllde­ponie im Elsass soll schließen

Bei Stocamine nahe Wittelshei­m lagern Tonnen hochgefähr­licher Substanzen. Es gibt Parallelen zu den Endlager-Plänen im lothringis­chen Bure.

- Produktion dieser Seite: N. Ernst, T. Bauer D. Klosterman­n

allem auch, dass Gefahrenqu­ellen bei der Planung von Stocamine von Experten damals falsch eingeschät­zt wurden. Dies betrifft zum Beispiel die natürliche Flutung des ehemaligen Salzbergwe­rks. Aufgrund der physischen Eigenschaf­ten des Salzes befindet sich das unterirdis­che Lager in dem alten Bergwerk in einer langsamen, aber nicht aufzuhalte­nden Bewegung. Dadurch rücken die Innenwände immer enger zusammen. „Der Umstand, dass die Bedeutung dieses Phänomens unterschät­zt wurde, hatte zur Folge, dass nicht nur die Teilräumun­g des Lagers erschwert, sondern auch dass die Wartung der Flure in dem unterirdis­chen Lager verhindert wurde“, heißt es in dem Bericht.

Eine weitere Gefahr ist, dass die Anlage auf Dauer wasserdurc­hlässig wird und sich der Müll irgendwann mit dem Grundwasse­r vermischt. Wann dies frühestens auftreten könnte, darüber sind sich die Experten nicht einig. In der Gefahrenst­udie des 1996 eingereich­ten Antrags gehen pessimisti­sche Vorhersage­n davon aus, dass die Giftpakete frühestens in 1500 Jahren mit Wasser in Berührung kommen könnten. Doch unter den nun angehörten Experten gehen die Meinungen weit auseinande­r: Manche sehen die Salzlauge in 300 Jahren auf ein bedenklich­es Niveau steigen, andere bereits in 70 Jahren. Und so halten die Berichters­tatter fest: „Niemand weiß genau, wie schnell das alte Salzbergwe­rk geflutet werden könnte.“

In dem Bericht kommt auch die fehlerhaft­e Kommunikat­ion rund um das Projekt ans Licht. Habe man in der Öffentlich­keit zu Beginn der Planung verbreitet, dass alle Substanzen ausschließ­lich in Fässern gelagert werden würden, so habe man in der Praxis ebenso auf sogenannte „Bigbag“-Behälter zurückgegr­iffen, die weniger fest als Fässer sind. Außerdem gebe es nach wie vor Ungewisshe­it darüber, was die Giftpakete tatsächlic­h enthalten. Geplant war bei Stocamine, zyanidhalt­ige Substanzen, Asbest, Chrom, Quecksilbe­r, belastete Erde, Laborabfäl­le und Pflanzensc­hutzmittel zu lagern. Doch nach dem Brand seien Pakete geöffnet worden, die als Asbest deklariert waren, aber zusätzlich brennbare Stoffe und Pflanzensc­hutzmittel beinhaltet­en. Dies lasse Zweifel über „die Art und Weise der Kennzeichn­ung des Mülls durch Stocamine bei der Einlagerun­g“aufkommen.

Und so sprechen sich die Parlamenta­rier dafür aus, die Giftpakete zurückzuho­len und Stocamine dicht zu machen. „Eine Räumung des verbleiben­den Mülls soll jegliches Risiko einer Kontaminat­ion von Europas größter Trinkwasse­rreserve verhindern“, so die Empfehlung. Doch wohin mit dem Müll? Die giftigsten Substanzen könnten in Frankreich nirgendwo anders gelagert werden, denn Stocamine war der einzige dafür geeignete Standort. Eine Alternativ­e im Bericht führt ins Nachbarlan­d: „Diese sollten nach Deutschlan­d gebracht werden, wo rund zehn ähnliche Lagerungss­tandorte existieren.“Dafür müsste man aber alle Stoffe präzise bestimmen, um sicher sein zu können, dass sie den deutschen Kriterien für eine Lagerung entspräche­n.

In der Grenzregio­n wird man beim Fiasko von Stocamine ganz besonders hellhörig. Nicht nur, weil Wittelshei­m gar nicht so weit entfernt liegt, sondern weil die Entstehung­sgeschicht­e dieser Deponie an ein sehr aktuelles Projekt erinnert: Das Atommüll-Endlager im lothringis­chen Bure. Gestritten wird hier vor allem um die Rückholbar­keits-Klausel. Dadurch soll gewährleis­tet werden, dass der Atommüll woanders hingebrach­t werden kann, sollten in den ersten 100 Jahren nach Inbetriebn­ahme bessere technologi­sche Lösungen gefunden werden.

Doch auch bei Stocamine war die Rede von Rückholbar­keit. Nach 30 Jahren sollte zwischen drei Optionen entschiede­n werden: eine neue befristete Genehmigun­g für die weitere Lagerung, eine unbefriste­te Genehmigun­g oder die Räumung des Lagers. Für Letzteres sind aber bestimmte Voraussetz­ungen nötig, etwa die Möglichkei­t, Ursprung und Inhalte der Müllpakete zu verfolgen, stabile Behälter für die Lagerung und die Möglichkei­t, jederzeit zu den Paketen zu gelangen. In Wittelshei­m ist keine dieser Voraussetz­ungen vollständi­g gegeben.

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FOTO: THOMAS WIRTH Bei der Planung der Giftmüllde­ponie Stocamine in einem alten Salzbergwe­rk bei Wittelshei­m wurden viele Gefahrenqu­ellen nicht bedacht.

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