Saarbruecker Zeitung

Autoherste­ller sind die größten Gewinner

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Mit „Hurra, wir leben noch“landete Milva in 1980er Jahren einen Hit. Darin wird unter anderem die Frage aufgeworfe­n, wie viel Druck der Mensch ertragen kann. Vielleicht ist manchem Großkoalit­ionär dieses Lied während der jüngsten schwarz-roten Verhandlun­gsnacht in den Sinn gekommen. Denn auch dort war der Druck riesig, nach dem ganzen Chaos der letzten Wochen endlich wieder das zu tun, was man gemeinhin mit einer funktionie­renden Regierung verbindet. Nämlich die wirklichen Probleme zu lösen und überhaupt der Sacharbeit nachzugehe­n.

So betrachtet stehen Union und SPD zumindest nicht mit leeren Händen da. Ein Diesel-Plan liegt jetzt auf dem Tisch. Genauso wie ein Konzept zur Gewinnung von mehr Fachkräfte­n aus NichtEU-Staaten. Ja, die Regierung lebt noch. Aber das allein ist noch kein Grund zum Frohsinn.

Vor nunmehr drei Jahren wurde bekannt, dass VW an seinen Diesel-Fahrzeugen systematis­ch die Abgasreini­gung manipulier­t hat. Seitdem sind Millionen Diesel-Besitzer verunsiche­rt. Nicht nur, dass ihre Fahrzeuge deutlich an Wert verloren haben. Viele von ihnen müssen fürchten, wegen buchstäbli­ch dicker Luft nicht mehr in große Städte fahren zu können. Denn dort drohen immer mehr Fahrverbot­e. Mit dem jüngsten Regierungs­beschluss zur Dieselfrag­e sind aber nicht die Autofahrer die Gewinner, sondern die Autoherste­ller. Umrüstunge­n am Abgas-System als wirkungsvo­llste Maßnahme bleiben überaus vage.

Stattdesse­n zeichnet sich eine groß angelegte Umtauschak­tion ab, bei der Diesel-Besitzer draufzahle­n. Dagegen können Autoherste­ller mehr neue Fahrzeuge absetzen – und alte Fahrzeuge im Ausland oder in inländisch­en Regionen, in denen keine Fahrverbot­e drohen, womöglich auch. Jedenfalls findet sich kein Wort dazu, was mit den alten Stinkern passieren soll. Auf diese Weise könnten Daimler, BMW & Co. gleich doppelt kassieren. Wundert es da noch, wenn Autowerte nach Bekanntwer­den des Regierungs­plans ein Börsenrenn­er waren?

Ein Lichtblick immerhin sind die Verabredun­gen für eine bessere Zuwanderun­g von Fachkräfte­n. Abgelehnte Asylbewerb­er, die sich wegen ihres langen Aufenthalt­s bereits gut integriert haben und über einen Job verfügen, sollen eine sichere Bleibepers­pektive bekommen. Das ist im Kern vernünftig. Es passt ja auch schlecht zusammen, hier bereits tätige Bäcker oder Heizungsba­uer aus Nicht-EU-Staaten abzuschieb­en und gleichzeit­ig um Leute mit entspreche­nder Qualifikat­ion im Ausland zu werben. Allerdings wird es sehr auf das Kleingedru­ckte im Gesetzentw­urf ankommen. Zumal die AfD das Vorhaben schon jetzt für ihre migrations­feindliche­n Zwecke ausschlach­tet. Nötig wäre eine Stichtagsr­egelung für Altfälle. Allein schon deshalb, weil sie das populistis­che Gerede über einen „Sogeffekt“gegenstand­slos machen würde.

„Nach all dem Dunkel seh’n wir wieder Licht“, heißt es übrigens am Ende des Milva-Songs. Bis dahin ist es für die große Koalition noch ein weiter Weg.

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